Kap. 2 Rom ruft
Maximilian Gernleitner parkte seinen schwarzen Porsche vor dem Bogenhause-ner Kirchplatz und betrat gedankenversunken den kleinen Friedhof. Dass der Tod so schnell Einzug in seiner Familie halten würde, hätte er sich noch vor einer Woche nicht träumen lassen.Verloren blickte er in die dunkelgrauen Wolken und warf einen kurzen Blick nach rechts auf das Grab seines Lieblingsschriftstellers Erich Kästner:
Liebe das Leben, und denk an den Tod!
Tritt, wenn die Stunde da ist, stolz beiseite.
Einmal leben zu müssen
Heißt unser erstes Gebot.
Nur einmal Leben zu dürfen,
lautet das zweite.
Großartig, dieser Erich Kästner, der genauso wie er an seiner Mutter gehangen hatte. Er öffnete die Eingangstür der St. Georg Kirche und schmunzelte, wie schon so oft, über das Deckenfresco des Schutzpatrons St. Georg, dessen debiler Gesichtsausdruck über den Eintretenden schwebte.
Die Trauergemeinde schien bereits vollzählig zu sein. Das Blumengebinde auf Mutters weißem Sarg passte vorzüglich, rote Rosen, verflochten in weißem und grünem Efeu, gebunden zu einem Kranz.
Er nahm in der ersten Reihe neben seiner Schwester Barbara Platz. Während die sonorige Stimme des Pfarres Hochgruber kryptisch diffus in seine Ohren drang, dachte er an das letzte Telefonat mit Mama.
Sie hatte wohlauf, ja sogar beschwingt geklungen. Zumindest hatte sie nicht leiden müssen, schnell und schmerzlos war sie nach einer kurzen Herzattacke in eine andere Welt verschwunden.
Nach dem Trauergottesdienst folgte Gernleitner gemessenen Schrittes dem Sarg der Mutter. Seine handgenähten Haferlschuhe der bayerischen Traditionsfirma Meindl knirschten auf der feuchten Kieselerde beim letzten Geleit.
Welch eine hervorragende Ruhestätte für Rosa Gernleitner. Hinter ihr lag Prof. Dr. Felix Burda, zu ihrer linken Josef Schörghuber und zu ihrer rechten ihr Lieblingsschauspieler Sigfrid Lowitz, auf dessen Grabstein sein Neffe Archi Platz genommen hatte.
Mit verquollenen Augen ließ er eine weiße Rose auf den Sarg von Mama fallen, dann waren seine Schwester Barbara an der Reihe und ihr Mann Klaus, der es selbst bei diesem Anlass fertiggebracht hatte, einen farblich völlig deplazierten und geschmacklosen Anzug zu tragen. Archi tippte verstohlen eine SMS.
Eins war klar: Daphne, Mamas cremeweiße Perserkatze, wird er auf jeden Fall nach München mitnehmen. Schon rein optisch gesehen würde sie sehr gut zu seiner Wohnungseinrichtung passen. Und Jacky, sein Jack Russell, würde sich im Laufe der Zeit an sie gewöhnen. Leicht unbehaglich wurde ihm beim Gedanken an die anfänglichen Jagden zwischen Hund und Katz - einige seiner schneeweißen Pilati-Diwane würden dran glauben müssen. Na ja, das Erbe würde für etliche Neubezüge reichen. So istīs halt - was reingeht, geht auf die ein oder andere Weise wieder raus.
Geradezu gelitten hatte Mama jahrezehntelang an ihrer Ehe mit Alois Gernleitner, einem despotischen stockkonservativen Mühldorfer, dessen zäher pflichtversessener Ehrgeiz ihm schließlich in der Staatskanzlei die Position eines Staatssekretärs eingebracht hatte. Seinen sensiblen, der Kunstästhetik zugeneigten Sohn hatte er regelrecht gehasst und ihn deshalb vor 10 Jahren in seinem Testament komplett übergangen. Leichte Schadenfreude keimte in ihm beim Gedanken an die Gesichter von Barbara und Klaus auf, wenn das mütterliche Testament verlesen würde. Auch sie würden sich dann der Herausforderung stellen müssen, nicht aus dem Erfolg, sondern aus Krisen zu lernen. Ihre voraussehbare Wut wäre dann nicht sein Problem. Als erfolgreicher Münchner Modedesigner und Inhaber des Unternehmens "All about Adam" wusste Gernleitner zu gut, wie wichtig es ist, Bedenkenträgereien gleich optimistisch nach vorne zu korrigieren.
Auf seiner Porscheheimfahrt nach München kreisten seine Gedanken noch um den Leichenschmaus für Mama, für den er eigens ihren einstigen Lieblingsplatz am Starnberger See ausgesucht hatte, das Hotel Kaiserin Elisabeth. Ungeachtet des In-Titels "Golfhotel" schien die Zeit dort dank nicht stattgefundener Sanierungen stehengeblieben zu sein. Die Verzauberung bemächtigte sich unwillkürlich aller Besucher und Gernleitner hätte sich nicht gewundert, wenn seine Mutter plötzlich lächelnd auf einem der alten Fauteuils gesessen hätte. Alle ihre ehemaligen Freundinnen aus dem Bridge Club waren nach der Beerdigung zum Leichenschmaus, einem hervorragenden Tafelspitz, gekommen. Ganz im Gegensatz zu seiner Schwester waren sie feine kultivierte Damen, allen voran Freifrau von Gumppenberg-Pöttmeß-Oberbrunnberg. Sie hatte es sich trotz des traurigen Anlasses nicht nehmen lassen, nach dem dritten Prosecco hemmungslos mit Maximilian zu flirten und mehrmals auf die "so sehr gegensätzlichen Charaktere von Vater Alois und Sohn" anzustoßen. Diese heitere Runde ließ Barbara und Familie wie Fremdkörper erscheinen - fast schon amüsiert beobachtete er die demonstrative Eitelkeit des Oberstudienrats Klaus, die verkrampfte Verbissenheit seiner Schwester und seinen Neffen Archi, diesen überbehüteten Klugscheißer. Der einzige Wortwechsel mit seiner Schwester bestand darin, dass sie sich kühl bei ihm für die Begleichung der gesamten Rechnung bedankte.
Na ja, diese Bagage war er erst mal los. Im Foyer des Bayerischen Hofes warteten schon Kiki mit Hund Daisy bei einem Gläschen Taiti.
`Maxl, du musst jetzt erst amol zu dir selbst kimma, i war a beim Tod meiner Mama lange Zeit down. I woaß, wie dir zumut ist !ī Diese Worte wirkten tröstlich auf ihn .
Richtig - er musste eine Pause einlegen, Abstand gewinnen, in sich gehen. Der Tod seiner Mutter hatte ihm erst richtig bewusst gemacht, dass er schon seit geraumer Zeit in einer Krise steckte. Die Modeentwürfe gingen ihm nicht mehr so leicht von der Hand, schon lange hatte er sich in keines seiner Modells mehr verliebt - irgendwas stimmte nicht. Da kam der Anruf auf seinem Handy gerade richtig. Du Max, i binīs, der Gerry. I sitz groad im Römischen Filmstudio. A Schmarrn is des mit der Garderobe hier. Willst neet kommen ? Mir brauchn a zündende Idee.`ī
Natürlich wollte er - Rom im Frühling durfte man sich nicht entgehen lassen, den Aperitiv auf der Navona, die opulenten Essen in diversen Osterien und Trattorien, und das Ganze in Gesellschaft seines Freundes Gerry !
Gerry beschäftigte sich schon seit Jahren mit dem sozialgeschichtlichen Phänomen der Sklaverei. In altrömischer Kulisse drehte er heuer eine Komödie. Er spielte einen Bayern, den Sklavenjäger nach Rom verschleppt hatten; er musste dort allerlei Wirren standhalten. Eine pfundige Idee!
Die Filmboys würden bestimmt Maximilians lahme Libido aufmöbeln. Seine Wohnung im Glockenbachviertel würde er solange in die Obhut der Bavaria Homesitting GmbH geben.