Syrien war mehr als eine Reise wert ....

Der malerische Innenhof im Hotel Dar Halabia in Aleppo Die Hoffnung, dass der Bürgerkrieg in Syrien bald beendet sein, dass in dieses Land bald Frieden und Freiheit einziehen würde, hat sich bis jetzt nicht erfüllt. Assads Machtinstinkt schreckt nicht davor zurück, seine eigenen Bürger abzuschlachten. Der Reisebericht ist nicht mehr aktuell, sondern ein Zeugnis aus der Vergangenheit, als es schien, dass der damals frisch an die Macht gekommene Präsident das Land nach und nach modernen Reformen zugänglich machen würde.

Das Handy klingelt - Don Escamillos siegesgewisse Fanfare aus "Carmen" schrillt in den Himmel von Aleppo.
"Herr Schmidt, wo sind Sie? Was, schon kurz vor der syrischen Grenze? Mein Agent wird Sie dort in Empfang nehmen. Wir sehen uns heute abend in meinem Landhaus...."
Abdel Kaddour, mehrsprachiger Reiseunternehmer und Hotelbesitzer, hatte mal wieder alles im Griff und widmete sich zufrieden seinen Gästen auf der malerischen Hotelterrasse inmitten von Aleppos Altstadt.

Konnte man 2003 in ein Land fahren, das unmittelbar an den Irak und an Israel grenzt ? Ohne weiteres! Syrien war damals ein sicheres Reiseland, in dem sich selbst Frauen problemlos bewegen konnten.

Man musste nicht einmal Arabisch können, um sich in Syrien zu verständigen. Viele Syrer sprechen Englisch, Französisch oder sogar Deutsch. Relikte aus der deutschen Vergangenheit - der Ruf deutscher Industrieprodukte, das deutsche Wirtschaftswunder und das akademische Austauschprogramm der früheren DDR - tragen dazu bei, dass Deutsche in Syrien zu den bevorzugten Touristen gehörten. Die Weigerung der deutschen Regierung, beim Einmarsch in den Irak mitzumachen, verstärkte diese Haltung noch.

Aber von diesen unverhofft anzutreffenden Brücken abgesehen, erschien dieses Land als ein zutiefst orientalisches Land, dessen Andersartigkeit uns Europäer herausfordert. Morgens um vier Uhr heben die Muezzine an, mit ihren über Verstärker dröhnenden Gebeten die Gläubigen an ihre Pflicht zu erinnern. Am Freitag - dem moslemischen Feiertag - hat ihr Gesang Hochkonjunktur: In verschiedenen Tonlagen heulen, jammern und jodeln sie um die Wette und strapazieren die Toleranz weltlich orientierter Moslems und Christen. Meine eigene Toleranz wurde zusätzlich strapaziert beim Anblick der totalverschleierten Frauen. Wie schwarze Gespenster schieben sie sich durch den chaotischen Verkehr oder das Gedrängel im Suq. Die meisten Frauen tragen Kopftücher, die auch den Hals bedecken, sind aber nicht verschleiert. In großen Städten sieht man mitunter auch Frauen ohne Kopftücher - ihre Zahl ist aber angeblich in den letzten Jahren stark zurückgegangen.

Holzfassaden an aleppinischen Altstadthäusern Syrien präsentierte sich als eine Mischung aus säkularem Militärregime und traditionellem Islam. Innerhalb dieser Bandbreite behaupteten religiöse und ethnische Minderheiten ihren Platz und eine wachsende Anzahl von Geschäftsleuten, die seit einigen Jahren die vorhandenen privatwirtschaftlichen Möglichkeiten voll ausschöpften. "Es ist mehr möglich im Vergleich zu früheren Jahren. Korruption im Beamtenapparat ist natürlich immer noch an der Tagesordnung. Will man etwas realisieren, muss man gezielt schmieren - aber wenn man weiß, wo, läuft die Sache und die Initiativen werden oft genehmigt", so ein syrischer Hotelbesitzer optimistisch. In seinem Hotel kam ich auch ins Gespräch mit seinen syrischen Freunden, gut ausgebildeten Akademikern, die mangels Perspektiven lange Zeit im Ausland - meist in den Golfstaaten - gearbeitet hatten und damals in Erwägung zogen, zurückzukehren und das zurückgelegte Geld im eigenen Land zu investieren.

Die Liberalisierung stieß auf viele Schwierigkeiten

Vater und Sohn Assad Überall finden sich riesige Statuen und Plakate des verstorbenen Präsidenten Hafis al Assad, bisweilen flankiert von seinen Söhnen. Der jetzige Präsident Baschar al Assad, ausgebildeter Augenarzt, blickte auf seinen Solodarstellungen stets skeptisch-sorgenvoll, als wollte er sagen "Leute, die Zukunft wird alles andere als rosig!". Syriens innen-und außenpolitische Situation war in der Tat angespannt. Seit seiner Machtübernahme versuchte Baschar al Assad die behutsame Öffnung der Wirtschafts-und Kulturpolitik fortzusetzen. Aus heutiger Sicht scheint es fragwürdig, inwieweit er wirklich interessiert daran war, die Hoffnungen einer korruptionsmüden, von hoher Arbeitslosigkeit betroffenen jungen Generation mit den Erwartungen der alten Pfründeninhaber in Einklang zu bringen. Denn letztere sabotieren natürlich auch die die Aufarbeitung der "Altlasten" - ähnlich wie Argentinien und Chile hatte das Regime unter der 30jährigen Regierungszeit von Hafis al Assad viele inhaftierte und liquidierte Regimekritiker zu verantworten. Auf der anderen Seite hatte das Regime die Machtübernahme von Islamisten verhindern können. Von der westlichen Presse kaum zur Kenntnis genommen, planten Anfang der achtziger Jahre die Muslim Brüder nach iranischem Vorbild einen nationalen Aufstand, der sich vorher schon in vielen Anschlägen angekündigt hatte. Hafis al Assad schreckte nicht davor zurück, die Städte Homs und Hama dem Erdboden gleichzumachen. Zwei wunderschöne Altstadtzentren gingen unwiederbringlich verloren. Und jetzt droht der einzigartig schönen Altstadt von Aleppo das gleiche Schicksal ...

Während des Einmarsches des Irak in Kuwait stand Syrien auf Seiten der USA, die es dankte, indem sie Syrien großzügig Wirtschaftshilfe leistete, welche Anfang der neunziger Jahre einen kurzfristigen Wirtschaftsboom auslöste.


Sehr viel Geld war schon immer ans Militär gebunden und stand damit dringenden anderweitigen Aufgaben nicht zur Verfügung: der Senkung der Analphabetenrate zum Beispiel. Obwohl seit 1970 eine sechsjährige Schulpflicht besteht, ist bei Männern von einer Analphabetenquote von mindestens 15% auszugehen. Frauen sind auch hier benachteiligt: über 40% können schätzungsweise nicht lesen und schreiben. Damit einher geht eine immens hohe Geburtenrate. Welchen Syrer wir auch befragten, fast alle hatten mindestens 8 Geschwister! 45 Prozent der syrischen Bevölkerung ist unter 15. Aus unserer Sicht würde das volle Rententöpfe garantieren - aber wenn keine Arbeit da ist, bedeutet es viele Arbeitslose. Viele Syrer müssen mehreren Gelegenheitsarbeiten nachkommen, um einigermaßen überleben zu können. Soweit die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Wer sich ausführlich über die politische Lage Syriens vor dem jetzigen Bürgerkrieg informieren möchte, dem sei ausdrücklich das Buch von Gerhard Schweizer "Syrien" empfohlen. Man bekommt nicht nur einen differenziert-aktuellen Überblick über das Land, sondern darüber hinaus eine spannend geschriebene Geschichte des Islam mit seinen vielfältigen Strömungen.

Syrien als Reiseland führt in die Ursprünge der Menschheit

Syrien bezieht seine Faszination als Reiseland aus der Tatsache, dass vor der islamischen Kultur unzählige andere Kulturen ihre Spuren hinterließen, die sich im Sprichwort niederschlugen: "Jeder Mensch hat zwei Heimaten - die syrische und seine eigene."

Der Innenhof der Omayadenmoschee Die syrischen Städte Aleppo und Damaskus machen sich den Rang streitig, die älteste permanent bewohnte Stadt der Erde zu sein. Damaskus war angeblich der Geburtsort Abrahams, Aleppos Zitadelle beherbergt der Legende nach einen Ort, an dem derselbe biblische Urvater seine Ziegen-und Schafherden gemolken haben soll. "Wie hätten Sie´s denn gern - sumerisch, phönizisch, hethitisch, griechisch, römisch, byzantinisch oder islamisch?", so könnte man frei nach Robert Lemke nach den touristischen Vorlieben der Besucher fragen. Für die Touristen, die üblicherweise mit begrenzter Zeit kommen, gehören Damaskus, Aleppo, Palmyra und der Krak des Chevaliers zum absoluten "Muss" einer Besichtigungstour.

Touristische Höhepunkte: Damaskus, Aleppo, Palmyra

Große Teile der Altstadt von Damaskus fallen in sich zusammen

Leider keine Ausnahme-so sieht der größte Teil der Damaszener Altstadt aus Papier ist geduldig. Was draufsteht, heißt noch lange nicht, dass es auch in die Tat umgesetzt wird. Angeblich steht die Altstadt von Damaskus auf der Liste des Unesco Weltkulturerbes. Ob sie in einigen Jahren immer noch darauf stehen wird? Wenn vielleicht fast kein altes Haus mehr existiert? Die Altstadthäuser von Damaskus bestehen vielfach aus Lehm und Holz, Materialien, die jedes Jahr gepflegt werden müssen. Sonst fallen sie zusammen wie Pappschachteln. Die Altstadt von Damaskus illustriert trefflich letzteren Fall. Ganze Abschnitte präsentieren sich als Ruinenfelder, die bisweilen von den vielen Verkaufsständen pittoresk überdeckt sind.

Das Bewusstsein, das das alte Zentrum lebens- und liebenswert ist, muss in Syrien erst noch entstehen. Und es wird dann entstehen, wenn die Häuser systematisch renoviert werden würden. Die Einwohner wollen jetzt raus in die Vorstädte, in Wohnungen, die moderne Küchen und Bäder haben. Diejenigen, die noch in der Altstadt wohnen, können sich den Wegzug nicht leisten.

Aussicht von einer Caféterrasse auf die umliegenden Berge von Damaskus Aber trotz Armut war es ohne weiteres möglich, als Tourist angstfrei durch die Gassen zu schlendern und sich angesichts der vielen neuen Moscheen darüber zu ärgern, dass den reichen Saudis nicht an der Renovierung der Altstadt, sondern nur an der Errichtung neuer Glaubenszentren gelegen ist.

Höhepunkte in der Altstadt von Damaskus

Man musste sich daher in der Altstadt auf punktuelle Höhepunkte konzentrieren, um nicht ganz deprimiert zu werden: den Azem Palast, einige Suqs, Karawansereien und Hamams , die Ananias Kapelle, in deren Nähe sich Saulus zum Paulus gewandelt haben soll, ......... und natürlich die Omayaden Moschee, die nach Mekka, Medina und Jerusalem viertheiligste Stätte des Islam. Das byzantinische Mosaik der OmayadenmoscheeGewöhnlich erreicht man die Moschee über den Hamidiye Suk, eine großzügige, mit Wellblech überdachte Ladenzeile, die an römischen Säulen endet. Diese Moschee steht stellvertretend für die Geschichte Syriens und einen toleranten Islam: Das Gelände war nacheinander den Göttern Haddad und Jupiter geweiht, bevor es die Christen in die Johannes Basilika umwandelten. Die moslemischen Eroberer teilten eine Zeit lang die Kirche dann in zwei Heiligtümer auf - in einen christlichen und moslemischen Gebetsteil. Obwohl längst ausschließlich Moschee, sind bis heute christliche Reliquien und Baudenkmäler selbstverständlich integriert. Das Jesus Minarett soll der religiösen Überlieferung nach den Ort markieren, an dem Jesus am Jüngsten Tag niedersteigen wird. Die architektonische Schönheit und der sakrale Stellenwert der Moschee werden allerdings durch eine Tatsache getrübt, die ich bisher in keinem Reiseführer gelesen habe und auf die ich nachdrücklich hinweisen möchte:

Es schweißelt ganz gewaltig! Millionen von nackten Füßen haben ungeachtet der Waschmöglichkeiten in der Omayadenmoschee ihre Duftspur hinterlassen. Ich war ehrlich gesagt froh, dass ich Socken anhatte und nicht barfuß über den Bakterienteppich laufen musste.

Ansonsten wird man als Europäer überrascht die lockere Atmosphäre einer Moschee feststellen: Sie dient als Gesprächsort, als Schlaf-und Lesestätte und nicht zuletzt als Laufstall für Kinder. Ich hatte den Eindruck, viele Frauen, die mit vielen Kindern in beengten Verhältnissen leben müssen, nehmen gerne die Möglichkeit in Anspruch, ihre Gören einfach mal unbeaufsichtigt über die riesigen Teppichflure rennen lassen zu können.

Halab - die Stadt mit faszinierendem orientalischem Flair

In der Altstadt von Aleppo Wer in Syrien eine orientalische Stadt suchte mit Flair, Lebendigkeit und Geschichte, war von Aleppo begeistert. Nicht zuletzt deshalb, weil dieses Flair auch geschätzt und erhalten wurde. Viele ausländische Initiativen renovierten nach und nach die Gebäude der Altstadt, die überdies den größten orientalischen Suq des Nahen Osten zu bieten hat.

Wer in dem mitten in der Altstadt gelegenen Hotel Dar Halabia nächtigte, betrat die Altstadt durch das Bab Antakia, das Antiochia Tor, durch das 635 nach Christus die moslemischen Eroberer hereinstürmten. Kampflos hatte sich die Stadt den Streitern Allahs ergeben, genervt durch die langen Kriege zwischen Byzantinern und Sassaniden.

Kaum passierte man das Tor, wurde man von der Atmosphäre einer anderen Welt in den Bann gezogen: Esel trabten mit riesigen Lasten die Suqstraße auf und ab, dazwischen kleine motorbetriebene Lastautos, Händlerrufe, verschleierte Frauen, Gebetsketten reibende Männer ..... Gleich hinter dem Tor steht die älteste Moschee Aleppos, die Maulbeerbaummoschee, die römische Bauelemente integriert. Links oberhalb steht die Rabenmoschee, in deren Mauern eine hethitische Bildinschrift darauf hinweist, dass eine Priesterin einem König den Tempel als Geschenk übergibt. Runde Steinsäulen treten aus den Mauern und machen auf eine uralte Technik aufmerksam, mit der Erdbebenschäden deutlich verringert werden konnten.

Folgte man der schnurgeraden Suqstraße, die mit der ursprünglichen hellenistischen Straßenplanung übereinstimmt, nach oben, stößt man auf weitere Höhepunkte dieser einmaligen Stadt: auf das für Geisteskranke gebaute Bimaristan al-Arghuni, das vor 800 Jahren höchst fortschrittliche sanfte Therapiemethoden anwandte, auf mehrere kleine und große Karawansereien, die heute noch als Warenlager genutzt werden, auf das Hamam an-Nahasin, in dem leider nur Männer Zutritt haben und in dem kürzlich erst weitere 800 Jahre alte Baderäume gefunden wurden, auf Moscheen aus unterschiedlichen Epochen..... und nicht zuletzt auf die labyrinthischen Gänge des Suq, in denen es eine Lust ist, sich zu verlieren. Im Suq von Aleppo

Murhaf Baghadi, ein Archäologe und hervorragender Führer, dem wir stundenlang zuhören konnten, ohne uns eine Sekunde zu langweilen, zeigte uns Einzelheiten, die in keinem Reiseführer zu finden waren. Der frühere Tabak Kontor hat an jeweils zwei Seiten eine angenagelte Holzhand. Ein früherer Besitzer der Karawanserei war Sufi, Anhänger einer mystischen Glaubensrichtung des Islam, deren Handgesten bestimmte Bedeutungen haben. In diesem Fall wollte er seinen Gästen mitteilen, dass innerhalb der Reichweite seines Khans keinem etwas zustoßen werde.

A propos Sufis: manche waren regelrechte Anarchisten, die keinem orthodoxen Religionsgelehrten glaubten und die einfachen Leute dazu anleiteten selbst zu denken und gegebene Herrschaftsstrukturen in Frage zu stellen. Etliche wurden dafür von den Machthabern hingerichtet. Manche waren auch Krieger, zumindest vor ihrer Sufi Lebensabschnittsphase. Ein ganz besonderer Krieger musste derjenige Sufi gewesen sein, dessen Waffen genau unter dem Bab Antakia Tor an der Decke hängen: 70 Kilo wog allein die Kampfkugel, die der Berserker um sich kreisen ließ und die sicher etliche Feinde erschlagen hatte. Nicht weniger wiegt das daneben hängende Schwert. Als er starb, hingen die tief beeindruckten Einwohner von Aleppo die Kampfwerkzeuge auf, zur Erinnerung an diesen Recken.

Zurück zum Thema Karawanserei: Auch die Khane weisen das für die arabische Architektur typische Merkmal auf, dem Außenstehenden Inhalt und Reichtum des Gebäudes zu verbergen. Riesige Tore, in denen kleine Türen für den Durchgang von Personen eingebaut sind, bilden in den Suqs den Eingang zu einer Welt, die früher den Reisenden und Händlern ein all-inclusive Programm geboten hatten: Unterbringung der Tiere und Waren, Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeit samt Bade- und Gebetsvorrichtungen. Die Aufgeschlossenheit der Osmanen europäischen Produkten und Know-how gegenüber hatte zur Folge, dass ab dem 16. Jahrhundert europäische Handelshäuser in Aleppo in den Karawansereien Handelsniederlassungen errichten konnten, die Vorläufer unserer Konsulate. Das belgische Konsulat hatte es bis dato vorgezogen, an seinem alten Platz in einer Karawanserei seine Vertretung beizubehalten. Alle anderen Konsulate hatten sich in modernen Häusern niedergelassen. Bis zur Eröffnung des Suez Kanals blieb Aleppo die wichtigste Handelsmetropole Syriens und des Nahen Ostens und hat von daher ein offeneres Flair als die Hauptstadt Damaskus.

Der Suq Aleppos wie auch derjenige in Damaskus folgt einer alten, noch heute bestehenden Ordnung: kostbare Waren wie Gold, Duftstoffe und Stoffe sind in der Nähe der Hauptmoschee zu finden, billigere und mindere Ware befinden sich weiter weg davon. Immer wieder stößt man innerhalb der Suqs auf riesige Tore, mit denen früher die Bereiche nachts abgesperrt wurden. Wachpersonal passte dann auf die stets geöffneten Stände auf.Heute lassen die einzelnen Händler Rolläden vor ihren Läden runter und hoffen, dass die Horde von wilden Hunden auf den Suqdächern nächtliche Einbrecher fernhalten.

Das legendäre Hotel Baron war das erste westliche Hotel Aleppos und markierte den Beginn dafür, weitere Hotels zu bauen. Die Karawansereien wurden dadurch ihrer Beherbungsaufgabe beraubt und reduzierten sich zu Warenlagern. Der Zustand des jetzigen Hotel Baron war damals jämmerlich! Ein schlechter Service und eine insgesamt heruntergekommene Atmosphäre lassen vermuten, dass die Leitung meint, der Nimbus längst verstorbener Gäste wie Agatha Christie, Lawrence von Arabien, Charles de Gaulles und anderen reiche aus, um ein Hotel am Laufen zu halten. In der Zwischenzeit soll es renoviert worden sein.

Die Zitadelle von Aleppo Ein weiterer Pflichtbesuch in Aleppo ist natürlich die Zitadelle. Auf einem gewaltigen Hügel thronend, der teils natürlich, teils künstlich angelegt ist, überragt sie wie eine gewaltige Glucke die ganze Stadt. Uneinnehmbar war sie gewesen. Das Gelände oben befindet sich mitten im archäologischen Umbruch. Mit Geldern von Aga Khan wird hier archäologisch geforscht und restauriert. Anhängern der religiösen Gesänge der Muezzins sei empfohlen, sich hier am späten Freitag vormittag einzufinden. Sämtliche Muezzins Aleppos schallen, dröhnen und rufen hier hoch, hört der eine auf, fängt der andere an. Und wenn sie nicht aufgehört haben, singen sie noch immer ...... so könnte auf Aleppos Zitadelle ein Märchen enden.

Das Paradies ist im Hamam

....Und wenn ich nicht rausmüsste, wäre ich hier noch immer.... Frauenmärchen sind bisweilen im Hamam zu erleben. Unterhalb der Zitadelle gelegen, ist das Hamam al-Labadiye die schönste alte Badeanlage Syriens, die der Tourismusminister selbst vor einigen Jahren hat renovieren lassen. Allah möge ihm dafür einen Platz im Paradies freihalten!

Mit einem Handtuch um die Hüften und nacktem Oberkörper (Syrerinnen tragen einen Badeanzug) genießt man abwechselnd heiße und weniger heiße Dampfräume, begießt sich mit Wasser und wartet darauf, von der Bademeisterin gewaschen und durchgeknetet zu werden. Fatima hieß unsere Holde, die uns ein unvergessliches Erlebnis bescherte: abwechselnd bearbeitete sie mich und meine Freundin Inka; mir liefen vor Lachen die Tränen aus den Augen bei dem Anblick, wie sie uns den Kopf und den Körper mit Olivenseife einschäumte, mit einem speziellen Handschuh uns sauber schrubbte, durchknetete und uns abschließend zwei Küsse auf die Backen gab. Zwischen jeder Prozedur schoss eimerweise Wasser über uns hinweg und ließ uns den Genuss wiedererleben, ein Kleinkind zu sein, das von einer gütigen Mutter rundumversorgt wird.

Mit roten Backen, blitzblank und großer innerer Zufriedenheit sitzt man dann im prachtvollen Vestibül des Hamams und bekommt Tee serviert. Wenn man Glück hat, wie wir, erfreut man sich des zusätzlichen Vergnügens, wunderschöne tanzende und trommelnde Syrerinnen zu sehen, die ihre Freundin in die Ehe verabschiedeten und die sich regelrecht begeistern, wenn sie sehen, dass Westeuropäerinnen beim Orientalischen Tanz mithalten können. Ausgelassene, wilde Partylaune entsteht dann, in der man als Gast von dem mitgebrachten Buffet kosten darf und dementsprechend noch runder und zufriedener in die plüschigen Sitzkissen der Empfangshalle sinkt. Ein wahrlicher Heidenspaß - so sollte mein Paradies aussehen!

Damaskus und Aleppo ergänzen sich dahingehend, dass nach einhelliger Meinung Aleppo die weitaus beeindruckendere Zitadelle, Damaskus aber die weitaus schönere Omayadenmoschee besitzt. Ersteres ist unzweifelhaft wahr, letzterem kann ich nur bedingt zustimmen. Die Omayadenmoschee Aleppos ist auf alle Fälle kleiner, aber gerade ihre Schlichtheit strahlt eine eigene Schönheit aus. Die Tatsache, dass wir Deutsche waren und ich den Wächter mit meinem Bonsai-Arabisch anbrabbelte, verhalf uns dazu, die Moschee besichtigen zu können, die offiziell wegen Renovierung geschlossen ist. Ein Höhepunkt in der Moschee ist die Kanzel aus Holz, ein wahres Prachtstück aus dem 12. Jahrhundert, deren Intarsien unter anderem aus Elfenbein und Edelhölzern von einem Meister seines Fachs minutiös wieder instand gesetzt werden.

Wie sichern sich Moscheen seit Jahrhunderten ihr Auskommen? Murhaf, unser Führer, zeigte uns bestimmte Läden, die äußerlich gekennzeichnet darauf hinweisen, dass sie einer Moschee angehören, der sie jährlich 20 Prozent ihrer Einkünfte zukommen lassen. Der Laden wird über Generationen innerhalb einer Familie weitervererbt (natürlich können nur Männer der Familie den Laden erben), gehört aber letztlich der Moschee. Die Moschee ist übrigens bis heute eine Art "summer-school". In den großen Ferien schicken die Mütter ihre Kinderschar zum Muezzin, der sie gegen geringes Entgelt, z.B. ein hausgemachtes Essen, unterrichtet. Und die Mütter sind dann froh, ihre unzähligen Racker eine Weile los zu sein.

Auf dem Weg nach Palmyra

In drei vollen Tagen schafft man das Pflichtprogramm für Aleppo einigermaßen einschließlich Nationalmuseum und christlichem Viertel. Wir brachen dann - dank der Organisation Murhafs mit Ahmad dem Fahrer und seinem Auto ausgerüstet - nach Palmyra auf und wählten die Route über den Assad Stausee. Hinter Aleppo gibt es Bienenkorbdörfer zu besichtigen, aus Lehm gebaute Behausungen mit einer Kuppel, die etwas den Steintrullis in Apulien ähneln. Kinderhorden sprangen uns entgegen und auf die Frage, weshalb sie nicht in der Schule wären, erscholl die Antwort, sie wären in der Nachmittagsschicht eingeteilt. Dermaßen zahlreich ist also der Kindersegen Syriens, dass in zwei Schichten unterrichtet werden muss!
Ein äußerst erholt aussehender Herr im arabischen langen Hemd trat lächelnd aus seinem Haus und erlaubte uns, es zu besichtigen. Erstaunlich, mit wie wenig man auskommen kann: Bei zwei Frauen und zwanzig Kindern wirkten die drei Räume unglaublich aufgeräumt und übersichtlich. Nach arabischer Sitte gibt es keine Betten in unserem Sinne, sondern Matratzen, die tagsüber übereinandergestapelt werden. Seine Frauen sahen wir leider nicht - ob die auch so erholt waren?

Richtung Osten geht die Landschaft in eine Wüste über. Baumwollfelder, Ziegen-und Schafherden sind die bestimmenden Elemente dieser Region. Und irgendwann ist man dann beim gewaltigsten Bewässerungsprojekt Syriens, dem Assad Staudamm. Auf der einen Seite sieht man den sich durch ein Wüstental schlängelnden wunderschönen Euphrat, auf der anderen taucht dann der gestaute See auf, der einer Fata Morgana gleicht. Zielpunkt der Strecke ist eine alte Burg, deren Ruinen noch heute vom verheerenden Mongolensturm im 13. Jahrhundert zeugen. Es gibt Wissenschaftler, die die These vertreten, dass die Hochkultur der arabischen Welt bis heute die Folgen der irrsinnigen Zerstörungen nicht verwunden hat, traf es doch damals vor allem Bagdad, das kulturell-geistige Zentrum des damaligen islamischen Weltreiches.

Rusafa heißt der nächste Halt und konfrontiert uns historisch mit dem römischen Weltreich. Rusafa war eine römische Garnisonsstadt, deren quadratische Ausmaße heute noch bestens erkennbar sind. Berühmt wurde der Ort durch Sergius, einen römischen Soldaten, der sich 297 nach Christus weigerte, Jupiter zu opfern und sich zu Jesus bekannte. Das kam nicht gut an - er wurde umgebracht, kurz darauf jedoch von den Christen als Märtyrer verehrt. Nachdem das Christentum Staatsreligion wurde, nannte sich die Stadt Sergiopolis und entwickelte sich zu einem bedeutenden Pilgerzentrum und Bischofssitz des Byzantinischen Reiches. Ihr Aushängeschild Sergius wurde bis nach Ravenna und Konstantinopel verehrt. Gut erkennbar auch für Laien sind bis heute die schönen Ruinen der Basilika und die gewaltigen Zisternen der Stadt.

Auf meist gut befahrbaren Straßen gelangt man dann zum antiken Dorado Syriens, dem einst mächtigen Palmyra, der reichsten Handelsmetropole der römischen Provinz Syria. Das heutige Tadmur hat den reizvollen Charakter einer Oasenstadt, unzählige Dattelpalmen lassen erfrischendes Grün inmitten der Wüstengegend aufscheinen.

Das sonst nicht zu empfehlende Hotel Zenobia verweist auf die gleichnamige Herrscherin Palmyras, die im dritten Jahrhundert den Römern das Fürchten lehrte. Nach dem Tod ihres Mannes (manche munkeln, sie hätte da nachgeholfen) übernahm Zenobiain der zweiten Hälfte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts die Regierung und versuchte, die römische Oberhoheit abzuschütteln. In Blitzkriegen eroberte die Amazone den Nahen Osten einschließlich Ägypten und wurde dann kurz darauf von den empörten Römern besiegt. Palmyra versank in die Bedeutungslosigkeit und wurde erst als touristische Attraktion wiederbelebt.

Die malerischen Ruinen gehen Ton in Ton über mit den umliegenden Wüstenbergen und besonders bei Sonnenuntergang leuchten sie in schönstem Ockergelb auf. Besuchenswert auch die Grabanlagen Palmyras: oberirdisch beeindrucken sie in Form von Begräbnistürmen, in den unterirdischen haben sich bis heute wunderschöne originale Malereien erhalten. Das Museum Palmyras gibt einen guten Überblick über die prächtigsten Fundstücke.


Viel mehr gibt es natürlich in Syrien zu besichtigen. Empfohlen seien die guten Reiseführer von Gernot Rotter, Walter M. Weiss und Muriel Brunswig, die jeweils eigene Schwerpunkte legen. Während die ersteren besser die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge darstellen, ist Muriel Brunswigs Reiseführer hervorragend für die praktisch-alltäglichen Belange (wie komme ich mit welchem Verkehrsmittel zu welchem Ort, welche Cafés und Hotels kommen in Frage, etc.)

Abschließende ernst-heitere Überlegungen

Syriens Bevölkerung hatte lange Zeit schwierigste Verhältnisse zu erdulden: Jahrhundertelange Vorherrschaft der Türken, abgelöst von der Kolonialpolitik der Franzosen, die mehr oder weniger nahtlos in eine Diktatur des Assad Regimes überging. Dieses bekämpfte in den 80igern die Muslimbrüder, jetzt inzwischen die regimemüde Bevölkerung. Wie wird dieser Kampf ausgehen? Werden in absehbarer Zeit die Westmächte eingreifen? Wird es den Syrern selbst gelingen, den Kampf für ein freies und dann hoffentlich liberales Syrien zu gewinnen? Syrien hätte mit seinen 30 % Christen, seinen vielen vergangenen Kulturen eine gute Voraussetzung, in der explosiven Nah-Ost-Region ein Beispiel für Toleranz und Offenheit zu geben: Dass wieder eine echte Begegnung von Kulturen möglich wird, wie vor vielen Jahren, als Orient und Okzident sich nicht nur bekämpften, sondern auch geistig befruchteten. Eine große Chance bestand während der Kreuzfahrerzeit. Der christliche Herrscher Richard Löwenherz war von den Arabern so beeindruckt, dass er in Erwägung zog, seine Schwester mit dem ayyubidischen Herrscher Saladin zu verheiraten. Demselbigen, dem Lessing in seinem "Nathan der Weise" ein bleibendes Denkmal für Weisheit und Toleranz gesetzt hat. Welch Projekt! Es scheiterte leider daran, dass die Schwester von Richard Löwenherz, von jähzornigem Charakter wie ihr Bruder, einen gewaltigen Wutanfall bekam und sich standhaft weigerte, einen Heiden zu heiraten. Dabei hätte sie es mit dem sicher weitaus besser getroffen als mit den damaligen christlichen Grobklötzen.

Heirat als Mittel der Völkerverständigung. Diese Idee hatte bereits Alexander der Große mit seiner Massenhochzeit von Susa umgesetzt. Vielleicht wäre das ja etwas, um den Nahost-Konflikt endlich zu beenden:
Orthodoxe Israeli und Palästinenserinnen, orthodoxe Palästinenser und Israelinnen miteinander verbandeln,
anstatt fruchtlos zu verhandeln
und die Gegend in ein Massenschlachtfeld zu verwandeln ......



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