Heilung als nicht kalkulierbarer Moment zwischen Anziehung und Abstoßung
Ein Workshop mit der koreanischen Schamanin Hiah Park in Augsburg im Mai 2010
Schamanismus steht längst nicht mehr im Ruf, eine primitive oder höchst exotische Art von Heilung zu sein. Schamanische Riten sind beispielsweise effektiver Bestandteil bei Aufstellungen. Die Teilnehmer erleben in diesen symbolischen Sichtbarmachungen von Beziehungen familiäre Verstrickungen auf anschauliche Weise. Die Wieder-Begegnungen mit toten oder noch lebenden Familienmitgliedern erreichen im besten Fall tiefe seelische Ebenen und dienen dazu, sich von Verstrickungen, Projektionen zu lösen. Zum Lösen dieser symbiotischen Bindungen ("Ich darf nicht mein Leben leben, weil ich noch unbewusst den Auftrag meines verstorbenen Großvaters ausführe") benutzen manche Aufsteller schamanische Trommeln - die Grenze zwischen Leben und Tod wird wieder bewusst. Ein Paradox wird dabei sicht- und erlebbar: Einerseits sehnen wir uns alle nach einer Einheit, nach bedingungsloser Liebe inmitten unseres noch immer vom Isolationismus geprägten Weltbildes, andererseits beherrschen uns symbiotische Verstrickungen, die uns leiden lassen und den Eindruck zementieren, dass wir nicht wirklich unser Leben leben und daher auch oft keine befriedigenden Beziehungen gestalten können. Folge davon sind Gefühle von Leere, energetische Blockaden, lang anhaltende Empfindungen von Freud- und Sinnlosigkeit, die unter dem klinischen Begriff "Depression" zusammengefasst sind.
Die Teilnehmer am Workshop von Hiah Park in Augsburg vom 8./9. Mai 2010 beschrieben meist diesen emotionalen Hintergrund als Anlass, an diesem Wochenende teilzunehmen.
Du sollst dir kein Bild machen - oder das Problem medienbedingter Erwartungen
Hiah Park wurde in Deutschland einem größeren Publikum durch den Film "Unterwegs in die neue Dimension" (Deutschland 2001) bekannt. Der Regisseur und Dokumentarfilmer Klemens Kuby filmt darin auf mehreren Kontinenten ausgewählte Schamanen und Heiler. Die Szenen mit Hiah Park erscheinen am Filmende und sind auch auf ihrer Webseite www.hiahpark.com zu finden. Wenn man diese nicht-christlichen, zutiefst ergreifenden Szenen von Tod und Wiederauferstehung sieht, verwundert es nicht, dass es genau dieser im Film festgehaltene Eindruck ist, der Teilnehmer von Münster bis nach Augsburg fahren lässt, um Hiah Park persönlich zu erleben. Für mich war dieser Film ebenfalls der Anlass, auf diese Frau neugierig zu sein.
Auf meine Email-Anfrage, ob ich anlässlich des Workshops über sie einen Artikel in Verbindung mit ihrem persönlichen Geburtshoroskop schreiben kann, reagierte sie zunächst offen und freundlich. Bald stellte sich heraus, dass es unter anderem die im Film erzeugte Erwartungshaltung ist, die sich als problematisch erweist.
Denn alle hofften wir natürlich während des Workshops auf ein irgendwie außergewöhnliches Tranceerlebnis und viele waren darüber enttäuscht, dass genau das ausblieb.
Hiah Park wiederum kann mit diesen filmbedingten Erwartungen völlig stressfrei umgehen und erweist sich in diesem Sinne als Meisterin der Des-Illusionierung. Das Ziel des Workshops lautete offiziell "die Teilnehmer dahin zu führen, dass sie das Leben, wie es von ihrer Natur gedacht war, wieder spüren können".
Zu Beginn las sie Erich Frieds Liebesgedicht auf Deutsch vor "Es ist, was es ist". Die daran anschließende Begrüßungsrunde fiel überraschend aus. Im Gegensatz zum Film verkörperte sie so gar nicht das Bild der gütigen all-liebenden Mutter. Schon bei der ersten Teilnehmerin ging sie auf harte Konfrontation: "Was willst du hier?", "Warum bist du hier?" Waren die Antworten ihrer Auffassung nach zu vage, fiel sie hart ins Wort: "Sag genau, was du willst!" "Du bist nicht ehrlich!" "Willst du dich wirklich ändern"? "Blockade ist mir zu ungenau - was präzise fühlst du?" "Wenn ihr im Kopf, im Ego, bleibt, verfestigt sich euer Leid", "Lernt, unvoreingenommen zu reagieren - wie Kinder, wie die Blumen, die ich mitgebracht habe."
Den vor allem Frauen gegenüber harschen, ungeduldigen und ruppigen Umgangston behielt sie während des ganzen Workshops mehr oder weniger bei. Zaghafte Kritik von Seiten der Teilnehmer wehrte sie vehement ab. Während des Workshops war es nicht nur mein Eindruck, dass sie ziemlich genervt war, genervt von den typischen Problemen der Teilnehmer aus westlichen Industriegesellschaften, die sie wahrscheinlich fast jedes Wochenende hört, an dem sie einen Workshop macht. Deutschland und seine wohlstandssatte, unflexible Mentalität scheint sie nicht besonders zu mögen.
Das mir zugesagte Interview sagte sie begründungslos ab, sie ging sogar soweit, mir durch die Organisatorinnen ausrichten zu lassen, ich solle überhaupt keinen Artikel über sie veröffentlichen.
Die gute Seite dieses ungezogenen Verhaltens: Es zeigt ihren Mut, unangepasst zu sagen, was sie im Moment meint. Sie schert sich keinen Deut um die (bezahlten) Erwartungen anderer.
Natürlich kann man sich beschweren, dass, wenn man als Teilnehmer schon so viel Geld bezahlt hat, eine freundliche Offenheit seitens der Workshop-Leiterin erwarten kann. Aber diese Freundlichkeit kann - ob ehrlich oder nicht ehrlich gemeint - genauso eine nötige Selbst-Konfrontation der Teilnehmer verhindern! Eine gute Mutter muss ggf. auch wie die berühmte Baba Yaga der russischen Märchen streng und unerbittlich sein können, damit der Nachwuchs begreift, es geht kein Weg daran vorbei, die Dinge selbst in Angriff zu nehmen. Dass diese Strenge Früchte trug, zeigte sich daran, als einzelne Teilnehmer am folgenden Tag ihre Träume der Vornacht erzählten. Manche Bilder waren so bedeutungsgeladen, dass sich jede Interpretation erübrigte.
Hiah Parks Werdegang
Hiah Park wurde am 8. Juni 1940 in Seoul/Südkorea geboren. Mit ihren 70 Jahren wirkt sie körperlich und geistig noch sehr jugendlich und beweglich. Auf die Frage, wodurch sie sich so fit halte, entgegnet sie trocken: "Es ist eine Frage der Energie" und "Nur heißes Eisen biegt sich". Ihre Antwort ruft eine der etymologischen Bedeutungen von Schamanismus in Erinnerung: Die Wurzel "Sha" heißt im Mandschu-Tungusischen "mit Hitze und Feuer arbeiten".
Hiah Park stammt aus einer christlichen Familie und kam als junges Mädchen erstmals mit Schamanismus in Berührung. Sie war zu Besuch bei einer Nachbarsfamilie und erlebte zufällig, wie ein krankes Familienmitglied von einer tanzenden Schamanin behandelt wurde. Hiah war die erste Frau Koreas, die als Tänzerin und Musikerin an der staatlichen Akademie für Tanz und Musik aufgenommen wurde. Nach ihrer Ausbildung unterrichtete sie diese Fächer auch an amerikanischen Universitäten. Sie lebte viele Jahre in den USA, bevor sie in Korea ihre Initiation zur Mudang (koreanischer Ausdruck für Schamanin) mit 41 Jahren erhielt, in einem Alter, das oft einen Wechsel in eine neue Lebensphase anzeigt und gerade Frauen die Möglichkeit bietet, jenseits familiärer Verpflichtungen sich geistig-seelisch weiterzuentwickeln.
Sie trat auch häufig als Tänzerin in Performances und Filmen auf und gibt seit vielen Jahren zahlreiche Workshops, in denen sie Elemente ihrer klassischen koreanischen Ausbildung und schamanische Techniken integriert.
Körperliche und seelische Krankheiten kennt sie aus eigener Erfahrung. Bei Schamanen scheint dieser Leidensprozess ein unvermeidlicher Weg hin zur Initiation zu sein, eine Art mental-seelisch-physischer Aufweichungsprozess, bei dem der angehende Schamane schließlich in Kontakt mit seinen tiefsten seelischen Anteilen tritt. Oder mit Geistern und Göttern. Was letztlich dasselbe ist, handelt es sich einmal um eine moderne Innenperspektive und zum anderen um eine traditionelle Außenschau.
Auch nach erfolgreicher Initiation, die Hiah Park eindrucksvoll und ausführlich in einem Interview mit Nina Otis Haft auf ihrer Webseite beschreibt, können Schamanen immer wieder selbst erkranken oder Symptome bekommen, die auf einen Schattenaspekt der Person/Gruppe oder eigene Schattenanteile hinweisen.
Bei uns war es der Ausdruck unterdrückter Aggression. Hiah berichtete, dass nach der ersten Runde ihre Augen stark gerötet waren, ein Zeichen von nicht bewusst gemachter Aggressionen vieler Teilnehmer.
Der erste Tag war dem Thema Reinigung gewidmet, dem "Ausputzen des verschmutzten Kamins", Aufspüren und Auskehren der Emotionen, die mich daran hindern, mit mir selbst in Kontakt zu sein. Geerdete Körperarbeit ist dabei unabdingbar. Bewegungsübungen, mal schneller, mal langsamer, mit oder ohne Augenbinde, lösten bei einigen Teilnehmern heftige Emotionen aus.
Der Höhepunkt des zweiten Tages war eine "vision quest". Mit mehr oder weniger innerer Beteiligung wurden wir aufgefordert, bei Ethnomusik und mit verbundenen Augen unserer Berufung, unserem Lebenssinn auf die Spur zu kommen. Auch hier kamen bei einigen Teilnehmern heftigste Erschütterungen hoch.
Heilung - was ist das?
Woraus besteht eigentlich Heilung? Und wer heilt bei einer begegnungszentrierten Heilung eigentlich wen? Wenn ich mir Hiahs Verhalten während des Workshops und in den erwähnten Filmsequenzen vor Augen halte, kristallisiert sich heraus, dass Heilung zwischen den zwei Polen Anziehung und Abstoßung stattfindet. Was dem alchimistischen "Solve et coagula", "Löse und Binde", entspricht.
Stand in unserem Seminar der Pol "Abstoßung" im Vordergrund, liegt die Betonung im Film eindeutig auf dem Pol "Anziehung". Eros als eminent wichtiger Motor, ohne den nichts läuft: "Liebe allein reicht nicht, aber ohne Liebe geht gar nichts." Wissenschaftlich orientierte Richtungen der Psychologie wollen das gerne neutralisieren. Nach dem Motto "Nimm diese oder jene Methode, und das kommt dann dabei heraus." Aber sind die sich hinter Methoden versteckenden Wissenschaftler dabei nicht oft unehrlich, letztlich ängstlich, weil sie sonst unter Umständen ihre Souveränität und seriöse Glaubwürdigkeit verlieren könnten? Und konsequenterweise Therapeuten - inklusive Schamanen - dann weniger Klienten annehmen könnten und damit natürlich weniger Geld verdienen würden? Der Psychoanalytiker Ferency sagt kurz und knapp "Ohne Sympathie keine Heilung".
Sympathie äußert sich zunächst als eher oberflächliche Anziehung, man findet jemanden sympathisch. Es bedeutet aber dem griechischen Ursprung nach auch "Mitleiden" in einem tiefgehenden Sinn, der - wie die Filmsequenz eindrücklich zeigt - eine intensive Todes-Erfahrung enthalten kann. Eros und Thanatos gehören in der Mythologie, der antiken Tiefenpsychologie, unabdingbar zusammen.
In Anlehnung an die themenzentrierte Aktion von Ruth Cohn möchte ich die drei Eckpunkte darstellen, die eine mögliche Heilung konstituieren, und diese Punkte am Beispiel des erwähnten Films verdeutlichen.
kairos=der günstige Moment/die Bereitschaft
der Schamane/der Therapeut............................................................der Behandelte/der Klient
Zwischen dem Klienten und dem Schamanen/Therapeuten fließt ein gegenseitiger seelischer Energiestrom von Sympathien, Erwartungen, Projektionen etc., die das seelisch-körperliche Geschehen mit in Gang setzen. Wichtig hierbei ist, dass der Heilende ethisch integer ist und seine Machtposition nicht ausnutzt. Letztlich wissen beide Beteiligten nicht, was bei der Interaktion am vorläufigen Ende herauskommt, da Leben stets ein offener Prozess ist. Erst der Tod setzt diesem Prozess ein vorläufiges Ende.
Bedingungslos nimmt Hiah im besagten Film den seelischen Schmerz des zufällig ausgewählten jungen Mannes stellvertretend auf sich und verbindet ihn mit seiner verletzten Seele. Sie übernimmt gleichsam die Hades-Rolle im griechischen Mythos: Mit Lilien als Sinnbild des Lebens und des Todes überwältigt sie ihn wie Hades Persephone und weiht ihn in den Zusammenhang Leben-Tod-Leben ein. Das macht sie garantiert nicht mit jedem oder gar jeder! Und höchstwahrscheinlich ist so ein tiefes Erlebnis nicht einmal für Schamanen jederzeit abrufbar.
Höchst verdienstvoll von Kuby ist, dass er die heftige Auseinandersetzung zwischen den Schamanen unkommentiert und unzensiert mitgefilmt hat und von daher einen hervorragenden Einblick in zutiefst menschliche Mechanismen gewährt.
Hiahs Vorgehen im Film war einerseits sehr mutig, andererseits auch höchst riskant gewesen. Laut ihrer Aussage hätte sie ihn gerne länger in dieser Dimension allumfassender, bedingungsloser Liebe belassen, aber sie merkte, dass sie damit die Kollegen und Zuschauer überfordert hätte. Die Schamanin aus Kolumbien, die Hiah während der Trance beigestanden hatte, gab zu, dass sie befürchtet hatte, dass der junge Mann aus seinem todesähnlichen Schlaf nicht mehr erwachen würde.
Hiah Park war damals 60 Jahre alt. Im Film ist auffallend, dass sie sich innerhalb der konventionell denkenden männlichen Schamanen als unabhängig agierende, abseits stehende Frau präsentiert, die es auf sich nimmt, den Aggressionen und Abwertungen von Seiten ihrer männlichen Kollegen standzuhalten.
Dass manche Kollegen so aufgebracht waren, hing auch damit zusammen, dass Hiah in dieser Szene körperliche Haltungen eines Liebesaktes einnimmt; mit gespreizten Beinen beugt sie sich in tiefer Ekstase über den jungen Mann, holt zwei Schamaninnen und einen Schamanen zur Hilfe, damit seine tiefe Ohnmacht in eine Wiederauferstehung münden kann.
Sie konfrontiert damit ungeplant die anwesenden Schamanen mit deren kulturellen Tabus : Eine Frau, womöglich noch menstruierend, inszeniert hier einen seelische Vereinigung, die sie auch noch körperlich darstellt! Wie kann man nur, das geht einfach zu weit! Weinend, aber auch souverän kontert sie diese Angriffe, indem sie Schamanismus als wichtiges Mittel definiert, Tabus zu brechen. Schamanismus ist für sie damit auch Mittel der Emanzipation! Gerade für sie als Frau sei es wichtig, sich dieser Tabus (eine anständige asiatische Frau spreizt nicht die Beine und bewegt nicht das Becken) bewusst zu werden, um sie aufzulösen. Denn nur so kommen Entwicklungen auf kollektiver und individueller Ebene in Gang.
Ein weiterer Grund, warum einige männliche Schamanen so empört reagieren, hängt meiner Meinung nach auch damit zusammen, dass Hiah ihnen eindeutig die "Show" gestohlen hat! Vor laufenden Kameras ein Ereignis auszulösen, bei dem laut Zeugenberichten in tiefer Nacht Tiere brüllen, eine gewaltige Spannung entsteht und sich entlädt, ist eine Art Wunder! Ein Kongress ist schließlich auch dazu da, sich bekannt zu machen. Ich war auf diesem Kongress nicht dabei, aber die Breitenwirkung dieses Films lässt den Schluss zu, dass Hiahs "Aktien" danach sicher mit am besten standen und zahllose Interessenten sich bei ihr meldeten. Zumal der Film auch zwei Interviews mit dem jungen Mann enthält; das erste fand unmittelbar nach seiner "Auferstehung" statt und das zweite ein Jahr später. Der "Vorher-Nachher" Effekt ist groß: War er früher drogenabhängig und orientierungslos, gibt er zu, dass er nach dem Erlebnis auf dem Schamanenkongress sich klarer und zielstrebiger fühlt und auf Drogen inzwischen komplett verzichtet hat.
Dass etwas so Tiefbewegendes stattfinden kann, ist meiner Meinung nach zum einen abhängig vom "kairos", vom einmaligen, günstigen Zeitpunkt. Es ist aber auch personenabhängig. Der junge Mann, den Hiah spontan im Publikum aussucht und der ungewollt in diese Leben-Tod-Leben Prozedur stolpert, ist attraktiv, sympathisch und sensibel. Was natürlich auch heißt, dass er seelisch empfänglich und beeinflussbar ist, d.h. fähig, sich diesem Prozess zu öffnen.
Kurzum, so etwas macht sie nicht mit jedem oder jeder! Ich denke, auf so etwas lässt sie sich mit Menschen, vorzugsweise Männern, ein, die ihren Eros (Pluto) ansprechen. Was keine Abwertung sein soll! Wie sagt Fried so schön? "Es ist, was es ist". Punkt.
Eine Anmerkung sei zu Hiahs Vorgehen kritisch vorgebracht: Die "Heilung" des jungen Mannes ging unfreiwillig vor sich. Hiah überrumpelte ihn regelrecht. Insofern war das Ganze kein Akt von wirklicher Liebe. Diese impliziert immer auch Bewusstsein und Freiwilligkeit aller Beteiligten!
Clemens Kuby, der ja den Film produziert hat und sich selbst seit vielen Jahren mit dem Thema Heilung auseinandersetzt, ist sich inzwischen der potenziellen Gefahr, von einem Heiler/Arzt/Therapeuten abhängig zu werden, sehr bewusst. Er setzt mittlerweile ganz auf die Selbstheilungskräfte der menschlichen Seele und bietet Seminare an, wie diese zu wecken und zu entwickeln sind.
Ich will hier wohlgemerkt keine Werbung für Clemens Kuby machen! Aber auf seinen doch bedenkenswerten Ansatz verweisen, zu dem sich jeder selbst seine Meinung bilden kann. Seinen Standpunkt vertritt er auf seiner Webseite, in seinen zahlreichen Büchern und Filmen, auch in you Tube Videos.
Die Filmszene mit Hiah Park verdeutlicht gleichzeitig das Problem medienerzeugter Erwartungen. Was hier im Film eine einmalige Begegnung zwischen zwei Wesen ist, die sich gegenseitig auf tiefer erotischer Ebene anziehen, kann nicht auf Bedarf hin reproduziert werden! Leider zementieren Medien Erwartungen, einfach deshalb, weil sie eine einmalige Situation auf dem Speichermedium jederzeit abrufbar machen. Leute, die diesen Film sehen, sagen sich natürlich "So etwas möchte ich auch erleben", "Diese Frau muss es in sich haben", und melden sich auf den Workshops an. Die Enttäuschung ist damit in vielen Fällen schon vorprogrammiert.
Hiah wiederum setzt in den Workshops bedenkenlos ihre individuellen Schwerpunkte. Männer fanden auf dem Workshop im Mai deutlich mehr ihr Wohlwollen als Frauen.
Dabei widmete sie sich besonders einem jungen Drogenabhängigen und begründete es damit, dass gerade die junge Generation auf den Weg gebracht werden müsse. Denn sie sei schließlich die Generation, die das Leben noch vor sich habe.
Persönliches Résumé:
Hiahs Weigerung, mir ein Interview zu geben, zwang mich als Berichterstatterin vermehrt dazu, mich auf meine eigene subjektive Wahrnehmung zu konzentrieren. Beobachtungseckpunkte waren dabei der Workshop in Augsburg und der besagte Film. In gewisser Weise bin ich Hiah dankbar, wurde ich mir doch so gewisser Mechanismen und Bedingungen zum Thema Heilung bewusst - sei es durch Schamanen oder Therapeuten - , die ich sonst für mich selbst so nicht herausgefunden hätte. Folgende Fragen und spekulativen Überlegungen, die ich auch gerne an Hiah weitergeben würde, kristallisierten sich dabei für mich heraus:
- Inwiefern wurde die im Film höchst sensible Hiah durch die massiven Angriffe ihrer männlichen Kollegen in unfairer Weise als respektlose Außenseiterin gebrandmarkt, vielleicht sogar traumatisiert?
- Inwiefern spiegelt diese Auseinandersetzung treffend den kollektiv immer noch ungelösten Machtkonflikt zwischen Männern und Frauen?
- Wie ging diese Auseinandersetzung zwischen ihnen nach dem Schamanenkongress weiter?
- Inwiefern können sich letztlich die Rollen Heilender - zu Heilender verkehren?
Hier sei einfach mal eine unbewiesene Hypothese geäußert: Wenn in dem Film eine seelisch tiefe Begegnung zwischen ihr und dem jungen Mann stattfand, in dem sie die Große Göttin und er den jungen Geliebten (1) darstellte: Könnte es sein, dass er daraufhin tatsächlich für wie lange auch immer geheilt war und sie zwar den wirtschaftlichen Erfolg bekam, aber vielleicht während der jahrelangen Workshoptätigkeit auch nicht gerade eine eigene innere Ausgewogenheit erreichte?
Tröstlich zu wissen: Schamanen sind auch - nur - Menschen und mögen genauso wie wir in die Falle des Geld-Verdienens geraten. Schamanismus wie auch andere therapeutische Richtungen mögen machtvolle Techniken beinhalten, aber diese Techniken bewirken natürlich nicht, dass Schamanen/Therapeuten automatisch bessere, höher stehende Menschen sind. Schamanisches oder therapeutisches Wissen/Techniken befreien den ausübenden Menschen weder von den Herausforderungen noch von den Schwächen des Mensch-Seins. Sehr schön formuliert das die kolumbianische Schamanin in dem erwähnten Film:
"Schamanismus ist zwar eine kosmische, d.h. universale Angelegenheit, aber wir sind alle Menschen, die in irgendeiner Weise begrenzt sind."
Begrenzt durch unsere Gesellschaft, familiäre Herkunft, begrenzt auch letztlich durch unsere eigenen Überzeugungen und Glaubensinhalte. Daher können Schamanen mir meine Probleme nicht wegzaubern, die letztlich daraus resultieren, dass wir irgendwann während unserer Erziehung oder während unserer Anpassung an unsere kapitalistische Leistungs-Gesellschaft die als Kind selbstverständliche Einheit zwischen Fühlen-Denken-Handeln, auch in Form freudigen Experimentierens, verloren haben.
Ist e i n e mögliche Lösung ein Zurück-in-die-Zukunft?
Immer wieder verwies Hiah auf die lebendige, gegenwärtige kindliche Kraft, die aus dem Gesicht eines Aikidomeisters leuchtete, dessen Foto an der Wand hing und dessen Lächeln Rilkes Mahnung an eine verlorene Unschuld, an unsere verlorene Einheit mit dem Universum zu enthalten schien:
Du musst das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken lässt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.
(1) siehe Heide Göttner-Abendroth: Die Göttin und ihr Heros, Frauenoffensive