Wie vorsichtig mit dem Begriff "Ausländer" umzugehen ist, merkt man, wenn man jemanden wie Hanna Tannous trifft. Er spricht perfekt und akzentfrei Deutsch, war Leiter des Carl Duisberg Centrums in Würzburg und München und unterrichtet seit Jahrzehnten Deutsch für Ausländer.
"Hanna, bei deiner erfolgreich verlaufenen Intergration vermutet man, dass du in Deutschland aufgewachsen bist und mindestens ein Elternteil aus Deutschland kommt. Stimmt das?"
Von wegen. Meine Eltern waren Bauern im Libanon und ich habe die ersten 18 Jahre meines Lebens im Libanon verbracht. Meine Muttersprache ist eigentlich Arabisch, obwohl ich inzwischen Deutsch als meine Erstsprache empfinde.
Wie kam es dann, dass du Deutsch gelernt hast ?
Meine Eltern starben beide, als ich noch klein war. Mit 10 Jahren kam ich im Libanon in eine deutsche Internatsschule, die ein Missionar im 19. Jahrhundert gegründet hatte. In der Schneller Schule war Deutsch die erste Fremdsprache. Wir Kinder waren zusätzlich in sogenannten "Familien" untergebracht, die von deutschen Erziehern geleitet wurden.
Hatte der Arabischunterricht einen gleichrangigen Stellenwert?
Ja natürlich. Wir hatten einheimische Arabischlehrer mit staatlicher Anerkennung. Die Schulabschlüsse der Schneller Schule berechtigten zu jeder weiterführenden libanesischen Schule, Universität etc.
Wie war das Bild von Deutschland, das du dir während deiner Internatszeit in den fünfziger/sechziger Jahren gemacht hast?
Es entstand einfach durch das Zusammenleben mit den Lehrern, Krankenschwestern und Erziehern und war durchaus positiv. Eigentlich wollte ich Landwirt werden. Aber die Erzieher und Lehrer erkannten meine pädagogische Begabung und legten mir nahe, mit einem Stipendium in Deutschland Pädagogik zu studieren.
Das war 1965: War Deutschland ein Schock für dich?
Die Klischeevorstellung "Armer Südländer im klimatisch und menschlich kalten Deutschland" traf für mich überhaupt nicht zu. Meine Aufnahmebedingungen waren geradezu ideal: Eine Lehrerin der Schneller Schule vermittelte mir den Kontakt zu ihrem Bruder. Wir lernten uns noch im Libanon kennen. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch und ich wurde gleichsam von dieser deutschen Familie adoptiert, die in Stuttgart wohnte. Ich studierte in Ludwigsburg Grundschulpädagogik. Auch während meines Referendariats in Trosselfingen auf der Schwäbischen Alb habe ich nie die Erfahrung gemacht, ausgegrenzt zu sein - ganz im Gegenteil. Die Leute waren ungeheuer herzlich zu mir. Das lag aber sicher auch daran, dass es damals wenige Ausländer in Deutschland gab und die wirtschaftliche Lage anders war als heute.
In einer Hinsicht habe ich vielleicht gemerkt, dass ich Ausländer war: ich habe immer versucht, meine Arbeit dreihundertprozentig gut zu machen. Vielleicht ist das ähnlich wie bei Frauen in manchen Positionen: damit sie die bekommen und halten, müssen sie oft mehr leisten als Männer.
Du bist ja schon lange kein Grundschullehrer mehr - wie bist du zu deiner jetzigen Tätigkeit am Carl Duisberg Centrum gekommen?
Das hat mit dem Bürgerkrieg im Libanon zu tun. Für mich stand eigentlich von Anfang an fest, dass ich wieder in den Libanon zurückkehre, z.B. als Schulleiter der Schneller Schule. Den Gedanken dieser Schule, Kinder zu fördern, die sich Bildungt nicht leisten können, hätte ich beruflich sehr gerne fortgesetzt. Ich machte die Weiterbildung zum Realschullehrer und promovierte in Gießen mit dem Zusatzfach Islamkunde. Insgesamt also eine ideale Mischung, um eine internationale Schule leiten. Doch dann musste ich aus der Ferne dann mitansehen, dass ein blühendes Land wie der Libanon vom Bürgerkrieg vollkommen zerstört wurde, viele Familienmitglieder in alle Welt emigrierten und damit meine eigene Rückkehr verhindert wurde. Diese Situation bedeutete für mich eine jahrelange Zerrissenheit zwischen beiden Staaten. Erst nach 10 Jahren Bürgerkrieg - Anfang der Achziger - stellte ich mich notgedrungen dem Entschluss, in Deutschland zu bleiben und beantragte die deutsche Staatsbürgerschaft. In dieser Zeit fing ich dann als Leiter am Carl Duisberg Centrum in Würzburg an.
Was ist die Aufgabe der Carl Duisberg Centren?
Unter anderem die Aus-und Fortbildung für Akademiker aus der dritten Welt - Afrika, Asien. Ich hatte sehr bald den Eindruck am richtigen Platz zu sein: Ausländern Hilfestellungen für eine vorübergehende Integration in Deutschland zu geben.
Hast du in Würzburg Fälle von Ausländerfeindlichkeit erlebt?
In Würzburg waren amerikanische Soldaten stationiert. Aus welchen Gründen auch immer hatten schwarze Soldaten dort keinen guten Ruf. Am Carl Duisberg Centrum betreute ich auch Gruppen aus Schwarzafrika, die zum Teil dann keinen Zutritt zu Diskotheken u.a. hatten. Hier aufzuklären und der Haltung entgegenzuwirken, darin sah ich auch eine wichtige Aufgabe. Aber ich muss auch sagen, dass mich die Presse sehr unterstützte und es uns gelang, ein differenzierteres Bild über Afrikaner zu vermitteln.
Du gibst seit vielen Jahren ja auch Arabischkurse. Kannst du seit dem 11. September eine Veränderung des Interesses seiten der Deutschen feststellen, arabische Kultur und die arabische Sprache zu lernen?
Deutschland 1965 und 2003 - hat sich deiner Meinung nach die Haltung Ausländern gegenüber verändert?
Seit dem Nahostkrieg finde ich die Berichterstattung viel zu einseitig: zu sehr pro Israel und zu undifferenziert der arabischen Welt gegenüber. Wohlgemerkt, ich bin kein Moslem, sondern Christ und glaube von daher, dass ich in dieser Frage einen neutraleren Standpunkt - sozusagen zwischen Europäern und Arabern - einnehme. Der 11. September hat aber das seinige dazugetan, um Vorurteile islamischen Gruppen gegenüber zu zementieren. Dazu kommt noch die schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland.
Könntest du dir vorstellen, deinen Lebensabend im Libanon zu verbringen?
Ich habe mir die Frage natürlich schon einige Male gestellt - wohin will ich eigentlich? Obwohl ich mich sehr integriert fühle, habe ich wenig deutsche Freunde. Über Jahrzehnte habe ich meinen Beruf an erste Stelle gesetzt und es blieb wenig Zeit für Freundschaften. Das erschwert mir auch die Entscheidung, hier zu bleiben. Aber mir ist auch klar, dass ich im Libanon fremd sein würde - auch dort finden sich Freunde nicht von heute auf morgen. Außerdem hat das Land die Folgen des Bürgerkriegs immer noch nicht verwunden. Jeder, der Füße und genug Geld hat, geht ins Ausland.
Nach all deinen Erfahrungen - wie würdest du das Wort "Heimat" definieren?
Eine Frage, die ich nicht einfach beantworten kann, die mir aber aus meinem Unterricht wohlbekannt ist und die ich meinen Schülern auch oft stelle.
Für mich selbst ist Heimat heute etwas, was nicht mehr identisch ist mit meinem Geburtsland. Der Libanon war vor dem Bürgerkrieg ein offenes Land mit einem hohen Bildungsstandard und dadurch eine wichtige Nahtstelle zwischen Europa und Orient. Diese Aufgeschlossenheit habe ich mitgebracht und hat mir sehr geholfen, mich in Deutschland gut anpassen zu können.
Die andere Bedeutung von Heimat im Sinne einer selbstverständlichen nicht hinterfragten Zugehörigkeit habe ich hoffentlich meinen Kindern gegeben, als ich mich vor zwanzig Jahren entschieden habe, hier zu bleiben. Da zwei meiner Kinder inzwischen im Ausland leben, habe ich den Eindruck, in ihnen auch die Bereitschaft geweckt zu haben,sich anderen Kulturen und Ländern zu öffnen. Offenheit und Respekt im persönlichen und politischen Miteinander - viel mehr kann man eigentlich nicht tun für ein friedliches Zusammenleben von Menschen und Völkern.