Kleists Leben und Werk faszinieren bis heute
Dass Kleists Faszination ungebrochen anhält, hängt nicht zuletzt mit der Unbedingtheit zusammen, mit der er sein Leben mit seinem Werk verknüpfte: Am 21. November 1811 nahm er sich, gerade 34 Jahre alt, zusammen mit der befreundeten Henriette Vogel am Wannsee gegen vier Uhr nachmittags mit zwei gezielten Schüssen das Leben. Nicht aus Angst, in Panik oder im Affekt, sondern in bewusster Entscheidung, die ihm vor dem Tod eine "unaussprechliche Heiterkeit" bescherte und die der Überzeugung entsprang, dass ihm "auf Erden nicht zu helfen war." 1
Kleist begeistert und verstört gleichermaßen bis heute, weil übliche Maßstäbe an ihm und seinen literarischen Helden abprallen. Es scheint, als hätte er selbst durch sein Leben die Wirklichkeit seiner literarischen Figuren bezeugen wollen und müssen, indem er wie ein Komet in die irdisch-träge Existenz einbricht und an dieser scheitert, aber als Freiheitskämpfer des unsterblichen Wortes am Ende seine Ideen und sich selbst in die Waagschale des Lebens wirft. Kompromisslos, bedingungslos und konsequent. Kleist ist ein Kamikaze der Literatur. Seine dichterische Phantasie erschuf Gestalten und Ereignisse von ungeheurer Wirkung: Penthesilea und Achilleus verbindet mörderische Liebe, Michael Kohlhaas wird aus Verzweiflung an mangelnder Gerechtigkeit zum Brandstifter und Mörder, die Marquise von O.
2 erleidet in tiefer Ohnmacht eine Vergewaltigung und verwandelt diese durch Mut, Intelligenz und Durchhaltevermögen in ihr persönliches Glück.
Gerade im Hinblick auf die jüngsten Naturkatastrophen lohnt es sich, Kleists "Erdbeben in Chili" zu lesen: Himmel ist auch Hölle, hell ist auch dunkel, idealer Traum ist auch schnöde Wirklichkeit - alles ist in und außerhalb ein und derselben Person vorhanden, jenseits konventioneller Moral, aber schmerzhaft klar inszeniert durch ein nicht fassbares, allenfalls zu ahnendes höheres Gesetz, das die Beteiligten in eine tiefe Krise stürzt. Insofern ist Kleist Pflichtlektüre für Astrologen, Theaterbegeisterte 3, Sinnsucher und Weltenrätsler gleichermaßen.
Der Tod als inszeniertes Bild
Im Kleist Jahr wartet Peter Michalzik 4 in seiner Darstellung Kleist, Dichter, Krieger, Seelensucher mit einer Entdeckung der besonderen Art auf: Kleist hatte seinen gemeinsam mit Henriette Vogel ausgeführten Freitod einem Gemälde nachgestellt, das er vier Jahre zuvor in Frankreich entdeckt und in einem Brief 5 beschrieben hatte.
Auf diesem Bild 6 des Malers Simon Vouet sinkt die sterbende Maria Magdalena in die Arme von zwei Engeln. Die tote Henriette Vogel nahm genau diese Position Magdalenas ein: auf Knien, halb sitzend, halb schräg nach hinten liegend in einer Grube, die die beiden für ihr Vorhaben ausgesucht hatten. Kleist dagegen fand man nach vorne links gesunken vor, der Schuss durch den Mund in den Kopf hatte ihm die Kontrolle über die Position seines Körpers entzogen. Dass Kleist dieses Bild gewählt hatte, war natürlich kein Zufall.
Schon die Heldin des Gemäldes verweist auf seine immer wieder im Werk geäußerte Überzeugung, dass das Heilige nie das gesellschaftlich Akzeptierte ist. Doch so, wie Magdalena von den Engeln aufgenommen wird, setzte er mit seinem Freitod beherzt die Hoffnung in Szene, dass er und seine Todes-Gefährtin Gnade vor den himmlischen Wesen finden würden.
Welche Konstellationen lagen seinem spektakulären Tod zugrunde? Zeitlich wurde er vermerkt auf "gegen vier Uhr nachmittags", was heißt, dass der Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit vor vier erfolgt sein muss:
Wenn wir das 7. Haus im Sinne der Münchner Rhythmenlehre als Bildaufnahme und Gegenwart definieren, würde es sicher passen, dass sich Uranus als Äquivalent für die Schüsse und als Herrscher von 11 mit Chiron und Pluto im Gepäck zumindest in unmittelbarer Nähe des Deszendenten aufhielt. Aus dieser Perspektive ergibt sich eine Uhrzeit zwischen 15.35 und 15.50.
Das astrologische Bild dieses Ereignisses spricht für sich: Die Ballung im siebten Haus spiegelt durch die Venus-Neptun-Konjunktion das ästhetisierte, einem spirituellen Bild nachempfundene Ereignis. Es ist Ausdruck dafür, inwiefern hier das Erwirkte (Spitze Haus 10) mit einem nach Freiheit strebenden seelischen Impuls (Mond/Mars Konjunktion im Gepäck von Saturn) im Tod und in der Wandlung liegt (Saturn als Herrscher von 10 in 8), dass es ein Tod unter zuversichtlich hoffnungsvoller Perspektive ist, die eine seelische Erfüllung zum Ausdruck bringt (Jupiter als Herrscher des 8. Hauses im dritten Haus im Krebs, mit Saturn im Gepäck).
Vergleicht man die Konstellationen seines Radix mit den Tageskonstellationen vom 21.11. 1811, ergibt sich folgendes erdrückende Bild:
- Die laufende Neptun-Venus Konjunktion warf ein Quadrat auf seine Radix Venus.
- Der laufende Saturn stand im Quadrat zu seinem Neptun.
- Der laufende Pluto bildete zusammen mit der laufenden Mondknotenachse den vierten Eckpunkt zu seinem Radix- T-Quadrat zwischen Venus, Uranus und Mars.
- Der laufende Chiron stand in gradgenauer Opposition zu seinem Radix Jupiter.
Vor dem Hintergrund seines Horoskops möchte ich Kleists Leben und literarisches Schaffen skizzenhaft unter folgenden Fragestellungen beleuchten:
- Welche Brüche und Widersprüche zeichneten ihn im hohen Maße aus?
- Welche Faktoren haben dazu beigetragen, dass er im Leben keine Alternative mehr sah?
- Welche Rolle spielt hierbei der Planet Chiron?
Die poetische Regel "Nichts ist so, wie es scheint" gilt schon für sein Geburtshoroskop
Die Wiki-Astrodatenbank von Lois Rodden vermerkt Kleists Geburtszeit mit dem Siegel AA. Es handelt sich dabei um die im Kirchenbuch von Frankfurt/ Oder vermerkte Geburt am 18.10.1777 mit der Uhrzeit 1.00 nachts. Astrologen entfährt dann der erleichterte Seufzer "Dann ist ja alles paletti". Von wegen.
Kleist selbst erwähnt nämlich klar und ausdrücklich im Brief an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge den 10. Oktober.
7 Innerhalb der Kleistforschung 8 setzte sich in den letzten Jahren der 10. Oktober durch mit dem berechtigten Argument, dass Kleist selbst- zumal ihm als erstgeborenen Sohn einer Adelsfamilie - sicher mehr zu trauen sei als einem damals oft pro forma eingetragenen Datum. Die Pflicht zur exakten Mitteilung der Geburtszeit besteht in Deutschland erst seit 1875.
Auch das Horoskop selbst vom 18.10. überzeugte mich nicht - zu viele Punkte im Element Erde, ein fixes Kreuz und ein Mond im Stier geben hier eine Sicherheit vor, die für ihn gerade alles andere als passend ist.
Die Merkur-Saturn Konjunktion mit einem rückläufigen Merkur des 10.10. entspricht überdies seiner Weise zu sprechen, die Kleists Freunde als "etwas schwere Zunge" und "eine gewisse Unbestimmtheit in der Rede, die sich dem Stammern nähert"
9 beschrieben.
Der Merkur vom 18.10.1777 ist zwar auch rückläufig, stünde dann aber in Konjunktion mit der Waage-Sonne und hätte dann eine deutlich extrovertiertere, eventuell plapperhafte Wirkung.
Vor dem Hintergrund, dass Kleists Leben (Sonne) unter dem "Gesetz des Umsturzes" 10 stand, passt der Sonnenstand vom 10.10. mit seiner Saturn-Uranus-Konstellation 11 weitaus mehr als die unter dem 18.10. stehende Mars-Venus-Konstellation.
Leben und Werk Heinrichs von Kleist
Heinrich von Kleist entstammt einem alten, bekannten preußischen Militäradelsgeschlecht und wächst die ersten elf Lebensjahre, erzogen von einem Hauslehrer, mit einer Schar Geschwister auf. Sein Vater stirbt, als er elf ist, seine Mutter verliert er mit 15, kurz nachdem er der Familientradition folgend in den Militärdienst eingetreten ist. Die sieben Jahre Dienst in der preußischen Armee wird er später als vertane Zeit bezeichnen, literarisch hat er sie dennoch fruchtbar verarbeitet. Schlachten und Kämpfe nehmen keinen geringen Teil seiner Texte ein; die selbst erlebte Besatzung Napoleons spiegelt sich in mehreren Werken in der bewegten Suche nach persönlicher und nationaler Identität.
Aus eigener Entscheidung verlässt er mit 21 Jahren das Militär und studiert an der Universität seiner Heimatstadt Mathematik, Physik, Kulturgeschichte, Naturrecht und Latein, angefeuert durch die Überzeugung, dass Bildung der erste Schritt sei auf dem Weg zu einem glücklichen, selbstbestimmten Dasein. Die trockene Nüchternheit der Wissenschaften enttäuschen ihn bald; er bestürmt so lange die Privatschülerin Wilhelmine von Zenge ihn zu heiraten, bis sie zustimmt.
Kaum hat er die Zustimmung von ihr und ihren Eltern, baut er nicht wie versprochen eine stabile berufliche Existenz auf, sondern beginnt ausgiebig durch halb Europa zu reisen. Als er 1802 aus der Schweiz Wilhelmine enthusiastisch vorschlägt, mit ihr einen Bauernhof zu bewirtschaften im Sinne Rousseaus, löst die klug gewordene Tochter eines Generals die Verlobung auf.
Die folgenden Jahre sind, was Kleists innere und äußere Bewegung angeht, unstet und ruhelos, im besten Fall abwechslungsreich. Zeitweise will er in die französische Armee eintreten, in Koblenz hat er vor Tischler zu werden, 1807 wird er unter dem Verdacht angeblicher Spionage von den Franzosen verhaftet und steht ein halbes Jahr unter Arrest.
Eine kontinuierliche Entwicklung lässt sich nur in seinen literarischen Werken feststellen
Im Lauf der Jahre verfasst er zuerst Gedichte, auf die die Tragödien und Komödien folgen, schließlich Erzählungen und Anekdoten. Nur Wenige, darunter der Dichter Christoph Martin Wieland, haben sein überragendes Talent zu Lebzeiten erkannt. Auch seine Hoffnung, in Johann Wolfgang von Goethe einen einflussreichen Förderer zu finden, wird enttäuscht.
Kleist wohnt 1803 bei Wieland in Oßmanstedt bei Weimar und gibt dem bekannten Gastgeber aus seinem Tragödienfragment "Guiscard" eine poetische Kostprobe. Die begeisterte Reaktion Wielands mag ihn bestärkt haben, von nun an in der Dichtung seine Berufung zu sehen. "Wenn die Geister des Äschylus, Sophokles und Shakespeare sich vereinigten eine Tragödie zu schaffen, so würde das sein was Kleists Tod Guiscards des Normanns...Kleist sei dazu geboren, die große Lücke …auszufüllen, die …selbst von Goethe und Schiller noch nicht ausgefüllt worden ist…"
Kleists Initiativen, mit seinen teilweise in literarischen Zeitschriften erscheinenden Werken, selten aufgeführten Theaterstücken oder auch in einer anderen Tätigkeit existenziell Fuß zu fassen, scheitern regelmäßig.
Sobald auch nur der Ansatz eines tragfähigen Ufers in seinem Leben erscheint, bricht es schon wieder weg. Sei es aus eigener Entscheidung, dort nicht hinüberzuspringen oder zu bleiben oder sei es, weil die Bedingungen sich plötzlich ändern und der vorbereitete Boden zusammenbricht.
Er selbst reagiert dabei nach einem gleich bleibenden Muster: Ein zündender Anfang, z.B. die mit Freunden initiierte Gründung einer literarischen Zeitschrift, wird von Kleist vorschnell als Wechsel auf eine grandiose Zukunft verkündet und verpufft im Nichts.
Kleist, der geringfügige Einkünfte aus dem Familienvermögen bezieht, begegnet diesem Problem, indem er sich regelmäßig Geld leiht, meistens von seiner ihm zugetanen Halbschwester Ulrike. Als dieser nach Jahren die Geduld ausgeht und sie ihm mit der Begründung "ein ganz nichtsnütziges Glied der Gesellschaft" zu sein, "das keiner Theilnahme mehr werth sey" die finanzielle Unterstützung aufkündigt, mag das für Kleist mit ein Auslöser gewesen sein, im Tod die verbliebene Lösung seiner Probleme zu sehen.
Kleist wird erst in den letzten beiden Jahren seines Lebens in Berlin sesshaft. Von Herbst 1810 bis Frühjahr 1811 ist er Herausgeber der Berliner Abendblätter. Die Zeitung war in ihrer Art außergewöhnlich: die erste deutsche Boulevardzeitung mit Niveau, die das Bedürfnis nach Sensation, Information und anspruchsvoller Unterhaltung erfüllte. Kleist veröffentlichte dort jeden Tag außer sonntags Kunstkritiken, eigene Aufsätze, merkwürdige Begebenheiten, Berliner Polizeiberichte und politische Standpunkte. Auch hier folgte einem herausragenden Anfang ein ernüchterndes Ende, bedingt durch Zensur, Auseinandersetzungen mit Mitarbeitern und Kunstschaffenden der Stadt sowie Unverständnis der Verleger. Verschärfend kam dazu, dass wichtige Freunde sich verheiratet und Berlin verlassen hatten, so dass Kleist sich in den letzten Monaten seines Lebens vereinsamt fühlte.
Kleists Geburtshoroskop: Zwei Optionen
Hat sich sein Geburtstag inzwischen zu Gunsten des 10. Oktobers 1777 geklärt, lässt sich meiner Meinung nach weiterhin über die richtige Geburtszeit streiten.12
Wenn man davon ausgeht, dass die im Kirchenregister eingetragene Geburtszeit stimmt, dann wäre er Aszendent Löwe mit einem Stier MC. Letzteren kann man durchaus seinem Impuls zuordnen, Tischler, Bauer oder Staatsbeamter zu werden. Da die Herrscherin des MC, Venus, im Quadrat zur Mars-Uranus-Opposition steht, ist nachvollziehbar, dass aus den stabilisierenden Plänen nichts wurde. Weiterhin könnte für diese Zeit sprechen, dass die Mars-Uranus-Konstellation im 7-er Rhythmus sich mit 14 auslöst, zu der Zeit also, als er in das preußische Militär eintritt. Das Geburtshoroskop sähe dann folgendermaßen aus:
Was mich persönlich an dieser Variante nicht überzeugt, ist immer noch die deutliche Betonung des Elements Erde und der fixen Qualität. Das zweite Haus fällt in die Jungfrau und es ist anzunehmen, dass seine Merkur-Saturn Konjunktion ihn dazu motiviert hätte, auch finanziell gesehen sparsam zu haushalten. Kleist war zwar genügsam, aber sparsam war er ganz sicher nicht. Sich selbst und anderen gegenüber war er zeit seines Lebens so großzügig wie möglich.
Von daher: Stimmt nicht einmal der Geburtstag, ist es immerhin denkbar, dass auch die eingetragene Uhrzeit nicht korrekt ist.
Bedenkt man weiterhin, dass er die meiste Zeit seines Lebens unterwegs war, ein freies, selbstbestimmtes Leben anstrebte und dabei auf Erwartungen anderer wenig bis gar keine Rücksicht nahm, würde meiner Meinung nach der MC Widder wesentlich besser passen mit dem Herrscher Mars im 5. Haus des seelischen Erlebens.
Das Element Feuer wäre dann das dominierende Element. Seinem Hauslehrer Martini fiel früh das lebhafte Temperament des Jungen auf und er bezeichnete ihn "als nicht zu dämpfenden Feuergeist." 13
Über den 7-er Rhythmus könnte man sogar mehrere Ereignisse sinnvoll zuordnen: Oben rum wäre die Uranus-Auslösung dem Tod des Vaters zuzuordnen und dem unmittelbar folgenden Umzug in ein Berliner Pensionat. Die Neptun-Auslösung in unterer Richtung samt ihrer Pluto/Mond Verbindung würde dem Tod der Mutter entsprechen, die Sonnenauslösung links herum wäre dann seine Entscheidung, den Militärdienst zu verlassen und sich der Entwicklung seiner Persönlichkeit zu widmen. Die Merkur-Saturn-Auslösung mit 22/23 entspräche der von Forschern definierten Kant-Krise, Kleists geistiger Metamorphose, in der er zutiefst an den Wissenschaften zweifelte und die in seinem Entschluss mündete, Dichter zu werden.
Ein weiterer wichtiger, bereits angesprochener Punkt spricht für diese Fassung: Das zweite Haus beginnt noch im Löwen und spiegelt Kleists Verhalten treffend, das Leben nicht dem Gelderwerb und der Sicherung, sondern dem eigenen lebendigen Lebensausdruck unterzuordnen. Herrscher von zwei in drei weist oft auf eine Disposition hin, mehr auszugeben als einzunehmen und würde auch seinem Hang zu Bewegung und Reisen entsprechen, mit dem seine Waagesonne durch die Aufnahme abwechslungsreicher Eindrücke ins Gleichgewicht kam.
Das Horoskop sähe dann so aus:
Markante Konstellationen in Kleists Horoskop
Unabhängig davon, welches Horoskop man favorisiert, bleiben in beiden folgende wichtige Konstellationen bestehen:
Spannungsreiche Konstellationen sind in seinem Geburtsbild überreichlich vorhanden.
Darunter zwei T-Quadrate:
- Im ersten veränderlichen steht Venus zwischen der Mars-Uranus-Opposition,
- Im zweiten fixen steht die Pluto-Mond Konjunktion zwischen der Opposition der Merkur-Saturn-Lillith Konjunktion am IC und dem MC.
- Außerdem gibt es noch eine Chiron-Sonne Opposition
- An Trigonen und Sextilen sind zu nennen: Jupiter und Sonne entlasten das veränderliche T-Quadrat, Neptun schwingt im trigonischen Gleichklang mit der Pluto-Mond Konjunktion und Chiron hat ein Trigon zu Jupiter.
Wie lassen sich Kleists Geburts-Konstellationen seinem bewegten Innen-und Außenleben zuordnen?
Seine Mars-Uranus-Opposition steht himmelwärts jauchzend, aber die saturnische Umsetzung wird drastisch gebremst durch die Plutoquadratur. Mit dieser Saturn-Pluto-Konstellation verknüpft sich auch das in seinen Werken negative Vaterbild: Väter sind grausame Tyrannen (z.B. im Werk "Das Erdbeben von Chili"), im besten Fall unbekannt und abwesend (Pluto-Neptun in Kombination mit Saturn Konj.Merkur mit Neptun im Gepäck, z.B. im Fall vom Kätchen von Heilbronn).
Saturn ist Herrscher des sechsten Hauses der Lebensbedingungen mit Pluto und Mond im Gepäck. Die zusätzliche Quadratur verschärft diese Konstellation, unter deren Druck die Lebenswirklichkeit (Saturn) Kleists am Ende zusammenbricht.
Der Löwe Aszendent wird mit einem aus dem fünften Haus kommenden Jupiter beschwingt, man könnte auch sagen sagen: ins Unermessliche gesteigert: Sein Anliegen wäre demnach ein maximaler Glücks- und Erlebensanspruch. Diesen Anspruch will er als Person im ersten Quadranten selbst einlösen: Die Waage-Sonne in 3 fordert ihn dazu auf, in Begegnungen, in Gesprächen, auf Reisen gepflegte Abwechslung zu suchen oder als Schriftsteller zu schildern.
Mehrere Argumente sprechen für die hypothetisch erstellte zweite Variation
Die zwei vorgeschlagenen Geburtshoroskope weisen interessante Unterschiede bezüglich der Stellung seines Merkurs auf: In der ersten Variante ist Venus die Herrscherin des dritten Hauses, seine Merkur-Saturn-Konjunktion steht dann noch im dritten Haus, im Gepäck von Venus in zwei.
In der zweiten ist Merkur der Herrscher des dritten Hauses und stünde mit Saturn in vier.
Auch hier überzeugt mich mehr die zweite Variante: Damit wäre mit der schriftstellerischen Arbeit mehr das Bedürfnis nach einem inneren Standpunkt verknüpft, was mir für Kleist passender erscheint. Er selbst und viele seiner literarischen Figuren sind damit beschäftigt, ihr inneres Gesetz gegen jede Einmischung von außen zu finden, zu verteidigen bzw. durchzusetzen.
Im berühmten Brief an seinen ehemaligen Erzieher vom März 1799 schildert er ausführlich sein "entwicklungsorientiertes" Lebensprogramm, das dann auch mangels passender Ressourcen zu seinem Lebensproblem werden sollte. Hier wird auch klar, dass Kleist sich teilweise deutlich von manchen empfindungsgetriebenen, schwarmgeistigen Romantikern unterscheidet. Sein Anspruch besteht darin, nicht nur gefühlsgesteuert vorzugehen, sondern nach reiflichen Überlegungen unabhängig von den Erwartungen der Umwelt wichtige Entscheidungen zu treffen. Da dieser Abschnitt auch sehr gut das Problem ratgebender Berufe - wie z.B. den des Astrologen - spiegelt, sei ein Abschnitt daraus ausführlicher zitiert: "Wenn man also nur seiner eigenen Überzeugung folgen darf und kann, so müsste man eigentlich niemand um Rat fragen, als sich selbst, als die Vernunft; denn niemand kann besser wissen, was zu meinem Glücke dient, als ich selbst; niemand kann so gut wissen wie ich, welcher Weg des Lebens unter den Bedingungen meiner physischen und moralischen Beschaffenheit für mich einzuschlagen am besten sei; eben, weil dies niemand so genau kennt, niemand sie so genau ergründen kann, wie ich. Alle diejenigen, die so schnell mit Ratgeben bei der Hand sind, kennen die Wichtigkeit und Schwierigkeit des Amtes nicht, dem sie sich unterziehen, und diejenigen, die sein Gewicht genug einsehen, scheuen sich, es zu verwalten, eben weil sie fühlen, wie schwer und selbst wie gefährlich es ist. Es ist also ein wahres Wort: dass man nur den um Rat fragen soll, der keinen gibt." 14 Die Erörterung des Problems mit einer anderen, nicht interessegeleiteten Person wäre dann eine weitere, nach außen gerichtete Möglichkeit, sich des eigenen Standpunkts bewusster zu werden und bestätigt meiner Ansicht nach, dass seine Merkur-Saturn-Verbindung besser ins vierte als ins dritte Haus passt.
Bedeutsam für ihn als Dichter ist in diesem Sinne auch die Saturn-Merkur-Lillith Konjunktion in der Nähe des IC, im Gepäck von Venus im zweiten Haus. Sein Standort, seine Talente und seine Fähigkeit, sich seine Existenz zu sichern, sind in hohem Maße davon geprägt, einen inneren wahrhaftigen Standpunkt zu finden, der aber durch die Lillith Konjunktion und das Pluto/Mond-Quadrat alles andere als konventionell und angepasst ist. Dementsprechend sind Kleists Frauenfiguren: unabhängig von ihren Männern/Angebeteten haben sie einen eigenen, unabhängigen Standpunkt, durch den sie schlussendlich überzeugen.
Merkur wiederum als Herrscher des dritten und elften Hauses hat Neptun, Sonne und Uranus im Gepäck. Kleists Sprache hat einen unverwechselbaren Duktus und Rhythmus. Es sind teils sehr lange, verschlungene, aber immer einem besonderen Rhythmus unterworfene, komplizierte, klare und melodische Sätze gleichermaßen, die nahe legen, dass Merkur auch der Dispositor von Uranus in Zwillinge ist.
Als Herrscher des dritten Jungfrau-Hauses (Haus 3 steht auch für Geschwister) würde Merkur im zweiten Horoskop auch besser die Halbschwester Ulrike repräsentieren, die ihm fast bis zum Ende seines Lebens existenziell und seelisch hilfreich (Jungfrauthema) zur Seite steht.
Kleists Waage-Sonne zeigt sich darin, dass er Zeit seines Lebens oft in Gesellschaft weilte, langjährige Freundschaften pflegte und mit seiner Lieblingsschwester Ulrike und einem Freund eine Lebensgemeinschaft plante.
In der unglücklich verheirateten Henriette Vogel 15findet er eine schwarmgeistige und überdies an Krebs erkrankte Frau, deren Entschluss, ihn in den Tod zu begleiten, seine eigene Entscheidung erheblich erleichtert. Ihr gemeinsames Ziel führt dazu, dass sie sich in den letzten Tagen gegenseitig idealisieren und bestätigen.
Die Stellung Chirons und seine Bedeutung für Kleist
Die untypische Seite seiner Waage-Sonne: Er fühlte sich - nicht zuletzt wegen der ausbleibenden Anerkennung seiner Werke - zutiefst einsam und unverstanden und daher nicht zu dem fähig, was sonst waagebetonte Menschen auszeichnet: zu Kompromiss, konventioneller Höflichkeit und stabilisierendem Ausgleich.
Meiner Ansicht nach wirkt auf seine Sonne neben dem schon genannten Saturn-Uranus-Gruppenschicksalspunkt in starkem Maße die Chiron-Opposition. Chiron wird überdies energetisch intensiviert durch das Trigon zu Jupiter am Aszendent. Oder anders formuliert: Kleists Glücksanspruch speist sich aus dem unangepassten, nicht gesellschaftskompatiblen Füllhorn Chirons. Seine Charakteristiken - Einzelgänger, abgrenzungsschwach, verbindend, integrierend, sich selbst verwundend, nicht polarisierend - umreißen Kleists Lebensdrama sehr gut.
Ich sehe diese Sonne-Chiron-Jupiter-Verbindung als "energetisches Loch", als existenzielle Verwundung Heinrichs von Kleist, als seine persönliche Öffnung hin zu einer uranisch-freiheitlichen Welt, durch die er seine Inspiration als Dichter bezieht, die aber in ihrer Funktion als verdichtender Brennpunkt saturnische Abgrenzungen und Sicherheiten auflöst und hochgradig destabilisiert.
Dichtung ist hier durchaus doppelbödig zu interpretieren! Sind sonst die uranische und saturnische Welt säuberlich voneinander getrennt, ist durch Chiron diese Dichtung regelrecht aufgeweicht. Die Nahtstelle mag geniale Ideen begünstigen, macht aber auch anfällig und labil in Bezug auf existenzielle Verwurzelung, die ja einer entsprechenden Abgrenzung bedarf. Nur wenige Künstler bringen es fertig, Kreativität und wirtschaftlichen Erfolg zu verbinden oder genießen das Privileg, finanziell anderweitig abgesichert zu sein.
Dass Chiron sich hier extrem schwierig auswirkt, mag auch damit zusammenhängen, dass er bei Kleist als Brücke zwischen seinem angespannten Uranus und seinem noch problematischeren Saturn fungiert.
Ich habe Kleists Horoskop unter Vorbehalten zeitlich so bestimmt, dass Chiron in unmittelbare Nähe zum MC gelangt und in dieser Hinsicht verstärkt seine gesellschaftliche Nicht-Position kennzeichnet als Krieger, Seelensucher, Redakteur, Dichter und Patriot.
Wenn Chiron ins 10. Haus rutscht, ins Gepäck von Mars, würde er verstärkt und öffentlichkeitswirksam - hier das MC im Sinne Döbereiners als Erwirktes - seine charismatische Qualität des verwundbaren Kämpfers illustrieren, wie sie an ihm selbst und beispielsweise in seiner literarischen Figur des Prinzen von Homburg aufscheint, der - im Gegensatz zu seinem Schöpfer - die vom Kurfürsten repräsentierte unbarmherzige Strenge Saturns bedingungslos akzeptiert und dem am Ende des Theaterstücks die Gnade zuteil wird, das uranisch-neptunische Reich von Liebe und Freiheit für immer und ewig zu betreten.
Als abschließende Ermunterung, sich mit Kleists einzigartigem Werk auseinanderzusetzen und ihn in seiner Heimatstadt Frankfurt an der Oder oder bei einem Aufenthalt in Berlin mit einem Besuch seiner jüngst renovierten Gedenkstätte am Kleinen Wannsee zu würdigen, sei der Kleistforscher und -herausgeber Helmut Sembdner zitiert:
"Heute und je gibt es Menschen, die von Kleists Dasein und seinem Werk auf eine seltsam starke und unmittelbare Weise ergriffen werden. Sie fühlen, dass hier ein Mensch mit aller Unbedingtheit in die Welt tritt, der das Menschsein vom Ursprung herein neu erlebt, und unter Verzicht auf Konventionen und Gepflogenheiten mit rücksichtsloser Ehrlichkeit und erstaunlich konkreter Wirklichkeitserfahrung die Forderungen seines Herzens besteht, ohne sich in klassische oder romantische Ideologien zu flüchten." 16
Anmerkungen
1Brief vom 21.11.1811 an Ulrike von Kleist, aus Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, Band IV, Hanser Verlag, 1982
2 siehe auch die sehr gelungene Verfilmung der Kleistschen Erzählung "Die Marquise von O." von Eric Rohmer mit Bruno Ganz in der Hauptrolle
3 Mit einer spektakulären Inszenierung des "Kätchen von Heilbronn" feiert derzeit Dieter Dorn seinen Abschied als Intendant am Münchner Residenztheater
4Peter Michalzik, Kleist, Dichter, Krieger, Seelensucher, Propyläen Verlag, 2011
5Brief vom Juni 1807 an Marie von Kleist, Frau eines entfernten Vetters.
6Das Bild hängt heute im Musée des Beaux Arts in Besancon
7 Brief vom 10.10.1800, aus Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, Band IV, Hanser Verlag, 1982
8siehe hier vor allem Ernst Häker, Überwiegend Kleist, Heilbronner Kleiststudien Band 1, Plädoyer für Kleist, S.113, zitiert aus Peter Michalzik, S.85
9Jens Bisky, Kleist, eine Biographie, S. 9, Rowohlt Verlag 2007
11laut den Gruppenschicksalspunkten von Wolfgang Döbereiner
12 Zur Zeit der Drucklegung des Artikels konnte ich nur den 10.10. als sicheren Geburtstag recherchieren. Die vielleicht in Familienstammbüchern der Kleistschen Familie vermerkte Geburtszeit versuche ich noch herauszufinden und werde sie ggf. nachreichen
13 Er folgt damit den Grundsätzen seines Aufsatzes "Den sicheren Weg das Glück zu finden" aus dem Jahr 1798, aus Peter Michalzik, S.216
14 Henriette Vogel kommt in den Beurteilungen von Kleists Freunden eher schlecht weg
15aus Peter Michalzik, S.455
16 Aus Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, Band IV, Hanser Verlag 1982
Die Abbildungen mit Ausnahme des ersten Fotos sind der Biographie von Peter Michalzik entnommen:
Simon Vouet, Die sterbende heilige Magdalena
Das einzige authentische Bildnis von HvK malte Peter Friedel 1801
Bildnis der Ulrike von Kleist
Bildnis der Henriette Vogel