"Den Kulturschock kriege ich, wenn ich wieder in Deutschland bin"
Ein Gespräch mit Marianne Schneider-Ortmann über ihr florierendes Entwicklungsprojekt in Nnudu/Ghana
- Wie kann man mit relativ geringen finanziellen Mitteln erfolgreich und mit Spaß sinnvolle Projekte in so genannten Entwicklungsländern durchführen?
- Inwiefern verändert sich dann auch die Perspektive auf das eigene Herkunftsland?
- Wie können sich völlig unterschiedliche Kulturen begegnen, so dass sich alle Seiten respektiert und wahrhaft bereichert fühlen?
Beim Austausch mit der zierlich quirligen Marianne Ortmann gewinnt man den nachhaltigen Eindruck, dass sich in diesem Projekt einfach die richtigen Menschen mit der richtigen Einstellung begegnet sind. Der Erfolg war dann die zwingende Konsequenz. Ihren Plan, Anfang 20 mit ihrem damaligen Freund in die offizielle Entwicklungshilfe zu gehen, gab sie erst einmal auf. "Ehrlich gesagt bin ich im Nachhinein froh, dass ich damals nicht naiv und unerfahren über die offizielle Bürokratenschiene in den Entwicklungsdienst gegangen bin. Meine langjährige Berufserfahrung im Umgang mit Menschen haben mir sicher geholfen, mein Fingerspitzen-und Bauchgefühl zu entwickeln, um unbürokratisch jetzt das zu verwirklichen, was ich will und sinnvoll finde."
Auf die Banklehre setzte sie ein BWL-Studium und qualifizierte sich weiter als Führungskraft. Diese Etappe nutzte sie, um sich später als Coach und Managementtrainerin selbständig zu machen. Aber auch erfolgreiche Arbeit ist eben nicht alles - ihr war klar, dass sie mit Ende 50 aufhören und in eine neue Richtung gehen wollte. Mehrere Individualreisen in Südafrika, Nepal, China und Ghana zusammen mit ihrem Mann brachten beide auf die Idee "Mensch, da müsste man doch irgendwie helfen !"
Relativ schnell einigten sie sich darauf, dass sich irgendwo in Afrika der Zielort ihres individuellen Entwicklungsprojekts befinden sollte. Internetrecherchen und Kontaktieren entsprechender Organisationen und Vereine brachten kein greifbares Resultat. Erst ein persönlicher Kontakt eines ehemaligen Managementklienten zu einer Bekannten, die schon einige Erfahrung im Bereich Entwicklungsprojekte in Afrika hatte, bildete geographisch und persönlich gesehen die Startrampe, von der aus Marianne Ortmann ihr Wirkungsfeld entdeckte. Sie entschloss sich, mit Gertraude Frank eine Tour durch Ghana im Februar 2008 zu unternehmen, um dabei einige schon laufende Entwicklungsprojekte in Augenschein zu nehmen.
Eventuell könnte man sich ja als Sponsorin an ein schon bestehendes Projekt andocken. "Ghana war für mich auch dahingehend ein Präferenzland, weil es nicht nur englischsprachig, sondern auch sicher ist. Wenn ich mich schon engagiere, dann will ich nicht Gefahr laufen, dass das Projekt durch Bürgerkrieg oder anderweitige gefährliche Zustände über Nacht zerstört wird."
Marianne Ortmann sieht sich selbst als Macherin. "Ich war immer schon der Einzelkämpfertyp. Ich bin natürlich für Frauenförderung, aber nur, wenn die Frauen auch wissen, was sie wirklich wollen. Mit einem eventuell, vielleicht etc. kann ich nichts anfangen." Mit dieser Haltung konfrontierte sie die oft kirchlichen Organisationen in Ghana mit klaren Fragen: "Was würdet ihr ganz konkret mit z.B. 10.000 Euro Spenden machen?" Ausweichende Antworten, fragwürdige autoritäre Zustände oder auch einfach Begegnungen, wo die Chemie für beide Seiten nicht stimmte, waren für sie jeweils der Hinweis, sofort Abstand von jenem Projekt zu nehmen und sich weiter umzuschauen.
Bei ihrer Projekttour kam sie mit Gertraude Frank auch nach Nnudu, einem Dorf mit circa 3000 Einwohnern, zweieinhalb Autostunden von der Hauptstadt Accra entfernt. Als sie die Dorfversammlung und den für sein Dorf engagiert wirkenden 50jährigen Häuptling Nana Mireku II erlebte, kam ihr spontan der Gedanke "Das scheint ein gut funktionierendes Gemeinwesen zu sein, die sind gut drauf! Mit denen könnte man etwas auf die Beine stellen." Sie bat Gertraude darum, dass sie ihr Anliegen dem Häuptling vorstellen könne und war aufgeregt, als das "Hearing" am Abend darauf nicht im kleinen Kreis sondern im Rahmen der kompletten Dorfversammlung stattfand. "What is your message?" wurde sie gefragt. Nach kurzer Erläuterung warf sie den Ball zurück: "Was braucht ihr?" Relativ schnell wurde klar, dass "Wasser zum Trinken und für die Felder" das zentrale Problemfeld war. Kinder und Frauen trugen bis dahin schwer an den Wasserkanistern, die sich nur an bis zu zwei Kilometern weit entfernten Brunnen mit schwerem Pumpmechanismus befüllen ließen. Die Deutsche und die Ghanaer einigten sich darauf, dass das Themenfeld Trinkwasser bei der Spendenbeschaffung vorerst reichen müsse, die näheren Details sich dann je nach Spendenaufkommen bei Ablauf des Projekts herauskristallisieren würden.
Voller Eifer flog Marianne Ortmann wieder zurück nach Deutschland, gründete ihren Verein "Aktiv-für-Afrika e.V." und unternahm gleich darauf im Alleingang eine Spendenfahrradtour, die sie von Fürstenfeldbruck bis nach Valencia führte. Nnudus Häuptling rief sie am Abend vor Tourbeginn an und versicherte ihr, dass sie mit dem Segen eines abgehaltenen Dorfrituals beruhigt starten könne. Der Segen wirkte wohl, denn mit 8.000 Euro Spendengeldern erschien sie im Herbst darauf zusammen mit ihrem Mann in der Dorfversammlung und erlebte ein Paradebeispiel selbstbewusster Dorfkultur, das auch die beiden Deutschen zunächst überraschte.
Nach ihrem Bericht über das Vorhaben lautete der Kommentar des Dorfhäuptlings "Wir danken euch für eure Informationen. Wir denken bis Dienstag darüber nach. Bis dahin werde ich die Meinungen der Dorfbewohner einholen." Am Dienstag ertönte der handlungsorientierte Bescheid: "Das Dorf befürwortet das Ganze, wir beginnen mit dem Bau des Trinkwasserversorgungssystems. Am Donnerstag können wir anfangen und das ganze Dorf hilft mit."
Wow! Wenn man das hört, denkt man doch sofort, dass dieses ghanaische Dorf in Sachen Gemeinwohl, Demokratie und lösungsorientiertem Handeln uns Bundesdeutschen einiges beibringen könnte! Wir gebärden uns ja nach außen hin fortschrittlich-demokratisch. Aber mal ehrlich: Wo werden wir in der BRD als Bürger dieses Landes in wichtigen Projekten konsultiert und in den Entscheidungsprozess miteinbezogen?! Man muss sich das mal klar machen: Irgendwo in Afrika findet eine Demokratie statt, die es Nirgendwo in Deutschland so gibt. Das ist doch regelrechter Filmstoff! Die gesellschafts-gestalterische Freiheit, die uns zugestanden wird, ist die, zwischen 50 Shampoos zu entscheiden….. Und genau diese Tatsache wirft Marianne Ortmann-Schneider regelmäßig in einen gnadenlosen Kulturschock, sobald sie wieder in der BRD eingetroffen ist.
"Diese Freudlosigkeit, das Jammern auf höchstem Niveau, dieses Gemecker vieler Deutscher wegen Nichtigkeiten, diese ideologischen Schubladen! Ich krieg regelmäßig die Krise, wenn ich wieder hier bin und die ersten zwei Tage die Wohnung nicht verlassen will. Ich krieg sie nochmals, wenn ich diesen ganzen Konsumzwang beim Einkaufen oder das langwierige Expertengedöns vor der Umsetzung von Kleinigkeiten mitanhören muss."
In Nnudu lautet die Devise "Mit handfestem Einsatz zum vollen Erfolg!" Lothar Ortmann, gelernter Physiker und technisch versiert, setzte sich daran, die Planungen und Berechnungen zum Bau des Wasserreservoirs durchzuführen. Die meisten Fähigkeiten und die körperliche Kraft zur Umsetzung brachten die Dorfbewohner selbst ein. Das Vorgehen und die Beschaffung der Materialien wurden jeweils flexibel abgesprochen und gemeinsam erledigt. Täglich wechselnde Arbeitsgruppen von ca. 20 Männern und bei Transportbedarf auch Frauen leisteten die schwere körperliche Arbeit bei afrikanischer Hitze. Die größte Knochenarbeit im wahrsten Sinne des Wortes bestand daraus, die zahlreichen großen Felsbrocken und Steine von der Anhöhe oberhalb des Dorfes zu entfernen, die die Plattform für das Wasserreservoir bildet. Alle - vom Kind bis zum Dorfältesten - halfen nach besten Kräften mit. Gräben wurden gezogen, um die Wasserrohre zu verlegen. Schon im ersten Jahr hatten die Dorfbewohner so mit den vom Verein eingekauften Materialien ihre erste funktionierende Trinkwasserversorgung geschaffen. Und das ohne jegliche Maschinen, wenn man von der Wasserpumpe absieht. Eine Außentreppe führt jetzt an dem großen Wasserbehälter hoch, der die zwei provisorischen Kunststofftanks ersetzt. Das Wasser für dieses Reservoir stammt aus einem Brunnen, von dem das Wasser in den großen Behälter wie in einem Wasserturm hochgepumpt wird. Von dort läuft das kostbare Nass in einem natürlichen Gefälle über flexible Rohre zu den elf Zapfstellen im Dorf, die bequem mit einem Wasserhahn zu bedienen sind. Marianne stellt bei ihren regelmäßigen Besuchen erfreut fest, dass die Bewohner die Anlage gewissenhaft in Stand halten und pflegen.
Welche Faktoren kamen hier zusammen, dass das Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe" so erfolgreich umgesetzt wurde?
Der geldgebende Verein, maßgeblich repräsentiert durch Marianne und Lothar Ortmann, wählte im Vorfeld sorgfältig den Ort und die dazu passenden Menschen aus. Ihnen war klar, dass auch sie mit den Leuten kooperieren können mussten. Das funktionierende Gemeinwesen von Nnudu und dessen fähiger Häuptling waren eine erste günstige Voraussetzung. Das Dorf brauchte Verbesserungen, aber es war keine Gegend, wo nacktes Elend herrschte. Die notwendige finanzielle Unterstützung als Hilfe zur Selbsthilfe war damit sinnvoll, überschaubar und machbar.
Beide Seiten gingen aufeinander ein, reagierten in ihren Vorstellungen flexibel, aber auch Grenzen wurden klar, die, sofern sie überhaupt überwindbar waren, respektiert werden mussten. So herrscht in Ghana traditionell strikte Arbeitsteilung: Die Männer machen die Grabungs- und Bauarbeiten, Frauen dagegen die Tragearbeiten. Dass Marianne bei den Grabungen mit Hand anlegen wollte, stieß erst mal auf Unverständnis. Erst als sie ausdrücklich den Vorarbeiter um die Erlaubnis bat, die Männerarbeit machen zu können, wurde das akzeptiert. Das mitgebrachte Geld gab ihr und ihrem Mann nicht das Recht, in Ghana nach europäischen Regeln zu spielen und die Durchführung der Arbeiten nach deutschem Rhythmus festzulegen. Überrascht bemerkten sie z.B., dass bei einer Gruppe von 20 Männern jeweils nur ein halbes Dutzend ungefähr 20 Minuten arbeiteten. In dieser Zeit brachten sie 100 % Einsatz. Danach machten sie Pause und die nächste Teilgruppe machte sich an die Arbeit.
Irgendwann witzelten sie mit dem Häuptling "Weißt du, für diese Art des Arbeitens bezahlen Europäer viel Geld auf so genannten Entschleunigungsseminaren."
Einerseits begegneten sich die Beteiligten auf Augenhöhe, realisierten aber andererseits, wo die eigene Fähigkeit und Zuständigkeit begann und endete. Die entstandene Akzeptanz führte dazu, dass alle mit einem Erlebnis der Bereicherung daraus hervorgingen: Die Dorfbewohner haben ihr auf 11 Zapfsäulen verteiltes, viel leichter erreichbares Trinkwasser, Marianne und Lothar sind stolz und glücklich über die gemeisterte Erfahrung und Begegnung mit einer Kultur, die sie persönlich über ihren kulturellen Tellerrand hat wachsen lassen. "Das Projekt gibt mir ungeheure Lebensfreude und Energie! Wir denken jetzt über mögliche Fortsetzungen nach, sei es in Form von Feldbewässerung, sei es in Form von Frauenprojekten zur Förderung von Kleingewerbe."
Aber auch hier ist Konzentration auf das Wesentliche Trumpf. Der Häuptling beschied dem eifrigen Verein, dass er neben seinen alltäglichen Pflichten stets nur ein Projekt betreuen und das ganze Dorf motivieren kann.
Die erzielten Erfolge und die Zuverlässigkeit der Einwohner von Nnudu stärken wiederum die Position des Vereins gegenüber möglichen Geldgebern. Derzeit sammelt Aktiv-für-Afrika e.v. im Durchschnitt 15.000 Euro pro Jahr. Das schafft wiederum die finanzielle Voraussetzung, in Nnudu in Absprache mit den Dorfbewohnern weitere Projekte ins Leben zu rufen:
- Ein Nähprojekt steht in den Startlöchern: In einer Nähstube, die im Dorf noch einzurichten ist, sollen Taschen aus fröhlich bunten afrikanischen Stoffen für den einheimischen Markt produziert werden.
- Für die Dorfbäckerin Augustina und ihr Mitarbeiterinnen würde eine Ladeneinrichtung mit zweitem Gaszylinder ein erheblicher Fortschritt darstellen.
Abgebildet ist hier ihr mit Holzkohle betriebener afrikanischer Bulthaupt, der als Reserve dann erfolgreich im Einsatz ist, wenn der Gasofen mangels Gasnachschub ausfällt. Mariannes Vermieter ist ehemaliger Bäcker. Kann gut sein, dass er über Marianne der Bäckerin geeignete Rezepte übermittelt, die diese dann in eine deutsch-ghanaische Kreation veredelt.
Für die Bewohner eines Selbstversorger-Dorfes wie Nnudu, die von der spärlichen Ernte der Felder leben, sind schon Kleinstinvestitionen kaum aus eigener Kraft finanzierbar. Mit maßgeschneiderter Unterstützung und gewerblicher Ausbildungsförderung ist viel Nachhaltiges erreichbar.
Ein Hauch von Afrika ist dieses Jahr auch in Gröbenzell erlebbar: Am 28. Mai 2011 findet ab 14.00 in Gröbenzell ein Afrika-Tag statt. Veranstalter ist die Eine Welt Gruppe Gröbenzell in Zusammenarbeit mit dem Nord-Süd-Forum Fürstenfeldbruck. Es gibt ein Kultur-und Seminarprogramm, bei dem auch die Trommelgruppe Pamuzinda aus Simbabwe auftritt und eine afrikanische Modenschau zu bewundern ist. Mehrere lokale Afrikavereine - unter anderem auch Aktiv für Afrika e.V. - stellen ihre Programme vor. Der Eintritt ist frei, es wird eine Spende erbeten.
Leser, die generell Interesse haben, für Aktiv-für-Afrika zu spenden und/oder Informationen bezüglich Projektdurchführung in Ghana bekommen möchten, seien an die Internetadresse www.aktiv-fuer-afrika.de verwiesen.